Heute wird viel über das Thema Gender diskutiert. Häufig geht es dabei um Frauen und deren Erfahrungen und Perspektiven. Zum gesellschaftlichen Zusammenhalt gehört die Gleichstellung der Geschlechter, ohne Frage. Gleiche Rechte, gleiche Pflichten, gleiche Chancen – das ist eines der Bestreben der globalen Entwicklungsziele. SDG 5 bezieht sich ausdrücklich auf das Thema Geschlechtergerechtigkeit.
In einem Workshop in Dortmund, zu dem der VKII-Ruhrbezirk geladen hatte, ging es am 27. Juni um das Thema Gender und die Frage, welche Geschlechterbilder junge Migrant*innen haben und wie diese Bilder und Vorstellungen ihre Lebenswirklichkeiten beeinflussen.
Der Workshop wurde von der Genderexpertin Prof. Dr. Adomako-Ampofo von der University of Ghana sowie Eine Welt Netz Fachpromotorin Tina Adomako geleitet.
Nach einer Vorstellungsrunde lockerten sich die Teilnehmenden mit einem Azonto-Tanz auf. Dann zeigte Prof. Adomako Video-Ausschnitte aus einem Forschungsprojekt, in dem junge schwarze Männer in verschiedenen afrikanischen Ländern (z.B. Kenia, Uganda, Ghana, Südafrika) sowie in der Diaspora (USA, England, Kanada, Deutschland) zu ihrem Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit interviewt wurden. Und junge Frauen erzählten in dem Video, welche Erwartungen sie an einem Mann haben. In den Interviews wird klar, dass tradierte Bilder von Männlichkeit/Weiblichkeit immer noch sehr stark bei jungen Afrikaner*innen verankert sind.
Nachdem sich die Workshopteilnehmenden Notizen zu den Aussagen aus dem Film gemacht hatten – denen sie entweder zustimmen oder ablehnen sollten, ging es anschließend darum, ihre eigene Perspektive zu reflektieren. Dabei wurde auf folgende Fragen eingegangen:
Was ist für dich ein „richtiger“ Mann, eine „richtige“ Frau?
Wie erlebt ihr eure eigenen Geschlechterrollen und die aktuelle Genderdiskussion?
Wie sieht das Vaterbild in den Communities aus? Welche Rolle haben Mütter?
Welchen Einfluss haben die überwiegend männlichen Prediger in den vielen afrikanischen Freikirchen?
Welche Rolle sehen junge Frauen und Männer in der Diaspora für sich und ist diese Rolle eine andere als in den Herkunftsländern?
Dabei ging es sowohl um die persönliche Rolle als auch um die gesellschaftlichen Erwartungen.
Im Laufe der Diskussion wurde den Teilnehmenden klar, dass viele der tradierten Geschlechter-Bilder (Mann als Versorger, als Kopf der Familie, als Macher) sowie die dichotome Aufgabenaufteilung (z.B. Kochen und Kinderbetreuung als Frauenarbeit) konstruierte europäische Geschlechterstrukturen sind, die im Zuge der Kolonalisierung nach Afrika transportiert und übernommen wurden.
Eine ganz einfache Frage sorgte für Aha-Erlebnisse: Die Teilnehmenden sollten an ihre Großmütter oder Urgroßmütter in ihren Herkunfts-/Heimatländern denken und schildern, wie der Alltag dieser Frauen aussieht. Es wurde deutlich, dass das westliche Bild der Hausfrau auf diese Frauen nicht zutraf. Klar wurde, dass selbst alte Frauen in traditionellen afrikanischen Gesellschaften einer Tätigkeit nachgehen – sei es auf dem Feld zu arbeiten oder Waren auf einem Markt zu verkaufen. Sie versorgen ganze Familien alleine. Dennoch hält sich selbst in der jungen Generation das Bild „der Mann ist der Chef“. Aussagen wie „Als Mann musst du (einen guten Job) und Geld haben, damit du heiraten kannst“ oder „Frauen müssen heiraten und Kinder bekommen“ waren in der Gruppe Konsens. Die kolonialen Rollenbilder sind nahtlos von Nollywood übernommen worden. Diese Filme aus Nigeria erfreuen sich in ganz Afrika großer Beliebtheit und prägen die Denkweise vieler junger Menschen. Auch die Prediger der zahlreichen neuapostolischen afrikanischen Kirchen propagieren ein tradiertes Geschlechterbild und beide – Nollywood und Kirche – üben einen sehr starken Einfluss auf die junge Generation aus.
Dies bedeutet einen enormen Druck auf junge Migrant*innen in der Deutschen Gesellschaft und in der Diaspora allgemein. Einerseits stehen sie unter dem Druck, die Erwartungen der eigenen Community zu erfüllen, andererseits leben sie in einer Gesellschaft, die die freie Entfaltung propagiert. Das könne zu Stress und psychischen Problemen führen, sagte Prof. Adomako-Ampofo. Daher sei es so wichtig, darüber zu reden – zu hinterfragen, wo die Bilder herkommen und eigene Lebensmodelle zu entwickeln. Am Ende des Workshops konstatierten alle Teilnehmenden, dass die Fragestellungen des Workshops sie zu einer tieferen Reflektion über eigene Rollenbilder angeregt habe. Es wurde der Wunsch geäußert, häufiger die Gelegenheit zu bekommen sich über solche Themen in einem solchen Format zu äußern.
Die Veranstaltung wurde gefördert durch das MKKFI, Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen.