Im NSU-Prozess, der seit dem 6. Mai 2013 in München verhandelt wird, sind lediglich 5 Leute angeklagt. Beate Zschäpe steht als Hauptangeklagte vor Gericht, sowie vier „mutmaßliche“ Helfer und Unterstützer. Es geht um zehn Morde, 2 Bombenanschläge und zahlreiche Raubüberfälle –blutige, rassistische, niederträchtige Verbrechen, ausgeübt von der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund). Und ermöglicht durch zahlreiche Menschen, die geholfen und unterstützt haben.
Warum dauert es so lange, die Urteile zu fällen? Über die vielen Ungereimtheiten, Pannen und Kontroversen, die den NSU-Prozess begleiten, ist viel berichtet worden. Dabei hat man das Gefühl, das noch sehr viel im Dunkeln liegt bzw. gewollt liegen soll.
Im März startete die Kampagne „Wir klagen an“, in der Betroffene des NSU-Terrors ihre persönlichen Forderungen und Anklagen auf Plakaten und Videos äußerten. Höhepunkt der Kampagne war nun ein inszeniertes Tribunal, das vom 17. – 21. Mai im Schauspiel Köln stattfand. Während des Tribunals klagte die Zivilgesellschaft auch die Institutionen an, die rassistische Übergriffe auf Menschen mit Migrationsbiographien scheinbar dulden und dadurch ein Klima der Straffreiheit für rechte Gewalttaten geschaffen haben.
Denn: Auf die Anklagebank gehören nicht nur Zschäpe und ihre vier Gesinnungsgenossen, sondern alle Personen, die eine lückenlose Aufklärung verhindern und die den strukturellen Rassismus in Deutschland fördern, so das Tribunal.
In Theaterstücken, Ausstellungen, Performances, Workshops und Diskussionsrunden wurde an den 5 Tagen der Rassismus in all seinen Formen thematisiert und angeprangert.
Am Samstagabend dann der Höhepunkt: Die Anklage wurde verlesen, „im Namen der Aufklärung, im Namen der Gerechtigkeit, im Namen der Opfer und ihrer Angehörigen.“
Angefangen mit Angela Merkel, die 1991-1994 als Bundesministerin für Frauen und Jugend das „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ leitete, in dem mit Steuergeldern Programme für überwiegend neonazistisch orientierte Jugendliche finanziert wurden, zum Teil unter der Leitung von rechten Sozialarbeitern. Auch Siegfried Kordus, der während des Pogroms von Rostock leitender Kriminaldirektor war und den Polizeischutz am Abend des 24. August 1992 abzog, obwohl sich ein rechter Mob vor einem vietnamesischen Wohnheim versammelt hatte, wird angeklagt. Die 63-seitige Anklageschrift enthält insgesamt 90 Namen – Politiker, Minister, Staatssekretäre, Beamte, Geheimdienstler, Journalisten. Sie alle haben durch Duldung, Unterlassung und Verharmlosung der Taten dazu beigetragen, dass der Rassismus sich ausbreiten konnte. Und natürlich sind auch die vielen Nazis angeklagt, die rechtes Gedankengut verbreitet, Menschen in den Tod geprügelt und ihre Wohnungen angezündet haben. Jeder einzelne Name wird aufgerufen und die Anklage verlesen. Es ist gespenstisch im Saal und am Ende verlässt man das Tribunal fast in einem Schockzustand, weil das Gehörte so ungeheuerlich ist. Doch man geht auch mit einem Gefühl der Hoffnung, weil es auch Gegenkräfte und -stimmen gibt, die bereit sind, die Demokratie und die Meinungsfreiheit zu verteidigen und den Rassismus den Kampf anzusagen – für alle Menschen, die hier leben und die zusammen unsere pluralistische Gesellschaft ausmachen.(ado)
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