Die Schneiderin der Träume
Wer hier ein Bollywood-Märchen erwartet – und Filmtitel und Trailer führen beide auf diese Fährte – wird eher enttäuscht sein. Obwohl es hier auch um eine Liebesgeschichte geht und die Zutaten „schwierige Liebe“ und „Familiendrama“ durchaus vorhanden sind, fehlt die Komponente Tanz und Musik. Und auch das Märchenhafte wird hier nicht in den Plot verwoben. Der Film bleibt im Bereich des Realismus: Die zwei Liebenden werden am Ende kein Happy End erleben. Oder – in einer anderen Welt – vielleicht doch? Denn die zwei Menschen, deren zarte Liebesgeschichte hier erzählt wird, trennen Welten. Auch wenn sie auf engstem Raum nebeneinander leben. <br>Ratna, ist ein Mädchen aus dem Dorf, das auch noch die Schande ertragen muss, verwitwet zu sein. Und Ashwin ist ein kosmopolitischer Stadtmensch, Sohn aus wohlhabendem Hause. In der Großstadt Mumbai wohnt er in einem Luxusapartment. Hier arbeitet Ratna als sein Dienstmädchen, putzt, kocht und dient demütig. Gleichzeitig versucht sie, ihren Traum zu erfüllen und nebenbei das Schneiderhandwerk zu lernen. Doch selbst um Nähunterricht nehmen zu können, braucht sie die Erlaubnis ihres Herrn, den sie „Sir“ –so auch der Originaltitel des Films – nennen muss. Sir scheint, trotz seiner Privilegien, ein netter Mensch zu sein und erlaubt seiner Magd mehr Freiheiten, als ihr gesellschaftlich zustehen. Wie man Menschen wie Ratna behandelt, zeigen Ashwins Freunde und Familie. So ist es für beide, Ratna und Ashwin, klar, dass die aufkeimenden Gefühle, die sie füreinander hegen, in ihrer Welt zu keinem guten Ende führen können. „Wir werden nie dazu gehören“, stellt Ratnas Freundin, ebenfalls Deinstmädchen, klar.
Ashwin bewundert an Ratna, ihre Willensstärke und ihre Würde. Sie kommt zwar aus dem Dorf, aber sie will die vorgegebene Gesellschaftsordnung nicht akzeptieren. Dass ein Mädchen wie sie nichts Höheres anstreben darf als ein Leben als Dienerin nimmt sie nicht hin. In der Stadt will sie sich weiter entwickeln, etwas aus sich machen. Und dass das möglich ist, davon ist sie überzeugt. Ratna spornt auch ihre jüngere Schwester dazu an, ein selbstbestimmtes Leben anzustreben. Doch am Ende fügt Ratna sich den Normen und Konventionen der Gesellschaft. Auf Fahrten zurück in ihr Dorf streift sie vorher immer die bunten Armreifen ab, die sie in der Stadt trägt. Als Witwe ist es ihr verboten, Schmuck zu tragen. Und als Ashwin bereit ist, seiner Familie seine Liebe zu Ratna zu offenbaren, ist sie es, die ihn davon abhält. Vielleicht ist dieser Verzicht aber auch ein zusätzlicher Beweis ihrer Stärke? Denn sie erkennt womöglich, dass Ashwin daran zerbrechen würde, wenn seine wohlhabende Familie ihn verstieße.
Regisseurin Rohena Gera erzählt in leisen Tönen diese Geschichte einer tiefen Verbundenheit zwischen zwei Menschen, die sich am Ende trennen müssen, weil die Gesellschaft so ist, wie sie ist. In unaufgeregten Bildern und mit leisen Tönen macht Gera auf die großen sozialen Unterschiede und Ungerechtigkeiten in der indischen Gesellschaft aufmerksam. „Ich möchte mit meinem Film die Ungerechtigkeit zeigen, die heute noch in Indien herrscht. Dabei geht es mir aber weniger um das Kastensystem und mehr um die sozialen Unterschiede, die es nicht nur in Indien gibt“, sagte Rohena Gera nach der Premiere ihres Films in Düsseldorf. „Es geht mir darum, auf die Kluft zwischen arm und reich aufmerksam zu machen, auf die ungleiche Verteilung vom Zugang zu gewissen Dingen wie das Recht auf Bildung und Ausbildung. Die gibt es weltweit, nicht nur in Indien.“ Sie freut sich, dass der Film auf vielen internationalen Festivals gezeigt wird, weil so nicht nur die Probleme bekannter werden, sondern mehr Menschen sich vielleicht angesprochen fühlen werden, sich für mehr Gerechtigkeit und gegen ähnliche Ungleichheiten einzusetzen. (ado)
Der Film ist ab 20. Dezember in vielen Programmkinos zu sehen.
Regie: Rohena Gera
Mit: Tillotama Shome, Vivek Gomber, Geetanjali Kulkarni, Rahul Vohra u.a.