Die Hauptdarstellerin und Ideengeberin des Stücks „Das liegt im Blut“ lebt erst seit 7 Jahren in Deutschland. Und doch ist sie hier schon so angekommen, dass sie ihre zweite Heimat mit einem Augenzwinkern auf die Schippe nehmen kann. Ohne dabei ihre erste Heimat, Ghana, zu verschonen. Vielmehr zeigt Gifty Wiafe in ihrem „One Woman Show“ viele Dinge auf, die in dem Westafrikanischen Land nicht gerade vorzeigbar sind. Und dreht dann den Spiegel um. Denn hier wie dort lohnt ein Wechsel der Perspektive. AfrikaNRW.net sprach mit der Schauspielerin.
Gifty, du lebst nun seit 7 Jahren in Deutschland. Wie alt warst du, als du herkamst?
Ich war 15 Jahre alt und hatte gerade meinen WAEC –SSS Abschluss in der Tasche. (Anm. West African Exams Council Senior Secondary School Certificate, vergleichbar mit dem deutschen Abitur) Da meinten meine Eltern, es wäre Zeit für eine Familienzusammenführung. Meine Eltern waren ja schon in Deutschland.
Und wolltest du auch nach Deutschland?
Na ja, ich war fertig mit der Schule und neugierig auf die Welt. Und meine Eltern meinten, ich hätte hier bessere Bildungschancen. Und obwohl ich auch in Ghana hätte bleiben können, vermisste ich meine Familie. Also bin ich dann doch gerne nach Deutschland gekommen. Heute bin ich sehr froh darüber, weil ich bessere Zukunftsaussichten habe.
Konntest du hier mit deinem WAEC-Abschluss einfach weitermachen?.
Nein, mein Schulabschluss wurde nicht anerkannt. Zudem sprach ich auch kein Wort Deutsch. Ich musste daher ein Jahr lang eine Förderklasse besuchen. Danach habe ich eine 10. Klasse besucht, den Realschulabschluss mit Quali gemacht und konnte mein Abitur nachholen. Vor zwei Jahren habe ich dann mein Abi gemacht.
Alle Achtung. Das nenne ich eine starke Leistung. Wie bist du denn zur Schauspielerei gekommen?
An der Schule war anfangs alles fremd und neu. Ich konnte nicht so gut Deutsch, fühlte mich wie eine Außenseiterin. In der Theatergruppe fand ich so etwas wie eine Heimat. Außerdem war das Theaterspielen eine wirklich gute Möglichkeit, Deutsch zu lernen.
Jetzt ist dein Deutsch so gut, dass du in dieser Sprache auf öffentlichen Bühnen Theater spielst. Erzähl mal von deinem ersten Solostück „Das liegt im Blut“. Ist das ein sehr gesellschaftkritisches Stück?
Nein, ich würde nicht sagen, dass ich kritisiere. Vielmehr ziehe ich Vergleiche und mache mich lustig über Missstände in der Gesellschaft. Hier wie dort. Da ist zum Beispiel das leidige „Dum Sor“ Problem (Anm. So wird in Ghana das seit über drei Jahren anhaltende Energieversorgungsproblem genannt, dass nicht nur alle Privathaushalte sondern auch kleinen und größeren Betriebe zu schaffen macht. Dum steht für „ausschalten“ während „sor“ anschalten bedeutet. Weil der Strom ständig an- und aus geschaltet wird, nennen die Ghanaer die Situation dumsor.) Anfangs gingen die Leute auf die Straße, haben demonstriert. Mittlerweile hat man sich damit abgefunden, macht sogar Witze darüber. Wie kann so etwas sein? Nur jeden zweiten Tag Strom? Sogar in der Hauptstadt? Und das im 21. Jahrhundert? Wieso tut keiner was, fragt der Deutsche ungläubig. Wie kann das sein, der Flughafen Berlin Brandenburg, seit 10 Jahren im Bau, sollte 1 Milliarde kosten, hat jetzt schon über 6 Milliarden veranschlagt und ist immer noch nicht fertig? Wieso tut keiner was? Ich drehe also den Spiegel um. Zwar sind diese zwei Beispiele nicht unbedingt vergleichbar, aber es geht darum, die eigene Situation zu reflektieren, ehe man die Situation eines anderen kritisiert.
Man könnte auch sagen: die Perspektive wechseln.
Ja, genau. Wenn man zum Beispiel die Lebensbedingungen von Menschen in Agbogbloshie (Anm. ein großer Slum in Accra, der Hauptstadt Ghanas, die größte Elektromülldeponie Afrikas und eines der schlimmsten verseuchten Orte der Welt) kritisiert, muss man auch fragen: woher kommt der ganze Schrott? Und was hat meine Lebensweise vielleicht damit zu tun?
Soll „Das liegt im Blut“ den Zuschauer zum besseren Menschen erziehen?
„Erziehen“ klingt sehr ernst, sehr schulmeisterhaft. Die Zuschauer sollen auch viel lachen können. Wenn eine Sache zu ernst ist, distanzieren sich die Leute davon. Gleichzeitig will ich nichts klein reden. Die Probleme sind ernst – die Umweltverschmutzung etwa, der unkritische Konsum, die Folgen davon machen unseren Planeten kaputt. Das Lachen entschärft das Problem, ohne es unter den Teppich zu kehren. Es ist wie meine Biographie. Sie hat schmerzliche Teile. Meine Mutter hätte mich fast abgetrieben, meine Eltern gingen nach Deutschland und ließen mich als kleines Kind in Ghana zurück. Aber wenn ich darüber lachen kann, dann ist es nicht so unerträglich. Auch solche Dinge thematisiere ich in dem Stück.
Heißt das nicht auch, die Probleme ein wenig zu trivialisieren?
Ganz und gar nicht! Ich bin eine Aktivistin. Ich will, dass sich Dinge verändern. Dass die Umwelt geschützt wird, dass Kinder Chancen auf Bildung haben. Deshalb gehe ich auch in Schulen und versuche, junge Menschen für solche Themen zu sensibilisieren. Aber ich kann niemanden dazu bringen, sein Verhalten zu ändern, indem ich mit dem Finger auf ihn zeige. Die meisten Menschen machen dann dicht. Wenn ich sie jedoch zum Lachen bringe, und sie sich vielleicht in manchen Punkten selbst wiedererkennen, dann kann das dazu führen, dass sie das eigene Verhalten reflektieren und ändern. Ein bisschen zumindest.
Nach dem viel zitierten Xhosa-Sprichwort: Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.
Genau so! (lacht) Wenn jeder nur eine kleine Sache in seinem Alltag zum Positiven ändern würde, würde das schon einen Unterschied machen.
Dein Stück hat am 21. September Premiere in Münster und wird auch in Ghana gezeigt. Du bist auf dem besten Weg zur internationalen Schauspielern.
Das Goethe Institut fördert das Stück und ermöglicht die Aufführung in Ghana. Im Februar werden wir es dort in Accra und Cape-Coast auf Englisch spielen. Vielleicht werden wir es auch in Irland aufführen. Aber eine internationale Schauspielerin? Nein, nein. Ich bin jetzt erst einmal Studentin. Ich habe gerade meine Zulassung an der Hochschule Kleve bekommen und beginne ein Studium. Später kann ich damit vielleicht Kindern und Jugendlichen in Ghana zu selbständigem Denken verhelfen. Das ghanaische Schulsystem fördert das nämlich nicht wirklich. Aber genau das ist wichtig, um Veränderungen herbeizuführen.
Mehr Infos über das Stück „Das liegt im Blut“ gibt es hier.
Premiere am Mi. 21. September in Münster.
Ort: Theater im Pumpenhaus, Gartenstraße 123.
Weitere Aufführungen: Fr 23. | Sa 24. | So 25.9. (jeweils 20.00 Uhr)
Kartenreservierung: Tel.: 0251-233443 oder www.pumpenhaus.de
Alle Fotos: Copyright Ralf Emmerich
Interview: Tina Adomako
(ado/12.09.2016)