Jeasuthan Nageswaran ist Koordinator der Fachstelle Migration, Diaspora und Entwicklung bei der Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt Landesnetzwerke in Deutschland (agl) e.V.
Im idyllisch gelegenen Ort Trifflingrode bei Duderstadt trafen wir Jeasuthan auf der Bundeskonferenz der Promotor*innen, die im Eine Welt Ländernetzwerk aktiv sind. Wir wollten wissen, was ihn umtreibt, welche Visionen er hat und ob er ein Mensch mit Migrationshintergrund ist.
Deine Stelle ist seit diesem Jahr neu in der agl eingerichtet worden. Erzähl mal kurz, was du machst.
In meiner Position als Koordinator der Fachstelle Migration, Diaspora und Entwicklung vernetze und koordiniere ich seit Juli 2016 Akteur*innen aus der Eine Welt-Szene bundesweit und speziell zum Themengebiet Migration und Entwicklung im Kontext der agl. Das impliziert ebenso die Themen interkulturelle Öffnung, Empowerment, Postkolonialismus und ähnliche. Ziel ist es, ein Fachforum aufzubauen, in welchem jedes Bundesland durch mindestens eine*n Promotor*in bzw. Multiplikator*in zu eben genanntem Themenquerschnitt vertreten wird. Auf praktischer Ebene betrifft das die Koordination zweier jährlich stattfindender bundesweiter Vernetzungstreffen, Entwicklung bewährter Kommunikationstools (Newsletter, Printmedien etc.) sowie die gemeinsame Erarbeitung von Impulspapieren.
Was verstehst du unter dem Begriff „Empowerment“. Was bedeutet das für dich?
Empowerment ist ein Begriff, der mir im sozialwissenschaftlichen Kontext begegnet ist und bedeutet für mich, Menschen und Menschengruppen aus einer Situation einer powerlessness heraus zu ermächtigen und Wege bzw. Strategien aufzuzeigen, sich aus einer vermeintlichen unterdrückten oder benachteiligten Position zu lösen, damit sie auf „Augenhöhe“ mitsprechen bzw. selbstverantwortlich und vor allem selbstbestimmt ihre Interessen vertreten.
Das war jetzt eher theoretisch. Aus dem Kontext der agl betrachtet, wie sieht da ein konkretes Beispiel aus?
Die Diskussionen, mit der ich aktuell beschäftigt bin, dreht sich eben darum – um Empowerment in der Einen Welt-Arbeit mit Blick auf die Partizipation von migrantischen Akteur*innen. Ich gestehe mir ein, dass ich noch relativ am Anfang bin und meine Erkenntnisse und derzeitiger Wissensstand noch sehr auf einer Meta-Ebene sind. Konkret heißt das für mich, dass strukturelle Barrieren, mit welchen migrantische Selbstorganisationen (MSOs) und migrantisch-diasporische Organisationen (MDOs) konfrontiert sehen, erst einmal zu erkennen, ihre Wirkmechanismen zu verstehen und abzuschaffen.
Was würdest du als eine strukturelle Barriere bezeichnen?
Aus meiner Einschätzung heraus, ist der Begriff der Entwicklungszusammenarbeit schon aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus nicht ganz unproblematisch und mit institutionellen Barrieren verbunden. Für mich heißt das, dass ein strukturelles Ungleichgewicht in der Entwicklungszusammenarbeit mit Blick auf die deutsche Inlandsarbeit vorherrscht und das hat zur Folge, dass den Beteiligten nicht die gleichen Ausgangsvoraussetzungen geboten sind. Ich verstehe, dass beispielsweise einige MDO’s, die ich in meiner Arbeit kennengelernt habe, mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen in ihrer alltäglichen Arbeit konfrontiert sind.
Würdest du sagen, MDOs leisten viel, deren Engagement wird aber nicht genug wahrgenommen?
Da sprichst Du zwei wichtige Dinge an. Ja, MDOs leisten sehr viel, ohne sie wäre Entwicklungszusammenarbeit, gar nicht möglich. Zur Sichtbarkeit von zivilgesellschaftlichem Engagement seitens der MDOs kann ich aus meiner Position heraus sagen, dass sich sehr vieles da gerade tut. Ich denke da beispielsweise an das Projekt samo.fa, an NEMO und an moveGLOBAL.
Du hast gesagt, Empowerment bedeutet für dich „auf Augenhöhe“. Wie darf man das verstehen im Kontext der Entwicklungspolitik. MDOs und MSOs dürfen auch mitmischen?
„Dürfen mitmischen?“. Sie müssen, wenn sie es nicht schon gerade tun und das ist gut so. Damit meine ich, dass in the long run Strukturen, wie sie heute vorherrschen, neu überdacht werden müssen. Dazu muss man aber auch verstehen, dass im Kontext von Entwicklungspolitik wir auch Diskurse darüber führen müssen über soziale Gerechtigkeit, Ressourcentransfer und Transformation in der hiesigen Gesellschaft.
Woran liegt es deiner Meinung nach, dass MSOs und MDOs bisher so wenig integriert sind in das Netzwerk? Haben sie nicht die Qualifizierung, die andere Gruppen vielleicht haben, muss man sie mehr empowern? Oder hat es andere Gründe?
Das sind aber viele Fragen auf einmal. Das kann ich im Moment gar nicht so pauschal beantworten. . Aber du sprichst da etwas an, das ich sehr wohl in meiner Arbeit beobachte und Stück für Stück begreife. Ich denke, dass diese neu geschaffene Koordinationsstelle ein Bindeglied für die von dir angesprochene Problematik sein kann. Ich hoffe, dass, wenn wir in einem Jahr oder später, das Interview wiederholen, ich schlauer bin.
Okay, dann sprechen wir uns in einem Jahr wieder. Was willst du bis dahin erreicht haben? Wie soll die Wirkung von deiner neu geschaffenen Stelle aussehen?
Ich versuche in kleinen Schritten zu denken, aber trotzdem die Vision nicht aus dem Blick zu verlieren. Kleine Brötchen backen, sage ich immer. Ich möchte mit Vertrauen und höchster Achtsamkeit ein Fachforum aufgebaut haben, dass sich zu einem kompetenten Organ entwickelt hat, welches auf eben die anfangs skizzierten Fragen Antworten entwickeln kann. Ein Organ, in welchem die Arbeit der zahlreichen Engagierten in diesem Themenquerschnitt gesehen wird und nachhaltige Impulse für die gesamte Inlandsdebatte zur Entwicklungszusammenarbeit liefern kann.
Und die Vision, die wäre?
Meine Vision ist es, das Fachforum Migration & Entwicklung zu einem starken Sprachrohr innerhalb der Gesamt-agl zu positionieren. Ich wünsche mir, dass das Fachforum eine pluralistische Plattform wird, die auch Raum für den kollegialen Austausch zwischen Menschen bietet, die sich in diesem Themenfeld aber auch darüber hinaus engagieren. Die Vision habe ich nicht nur für diese, sondern für alle sieben Fachforen der agl, denn sie sind das Herzstück unserer politischen Inlandsarbeit.
Deine Eltern sind Tamilen aus Sri Lanka. Du aber bist in Berlin geboren und aufgewachsen, hast bisher nirgendwo anders gelebt. Bist du ein Mensch mit Migrationshintergrund?
Laut amtlicher Definition bin ich das, aber de facto bin ich das nicht, denn ich bin ja nicht selbst aktiv von irgendwoher nach Deutschland migriert. Aber ein „Bio-Deutscher“ bin ich auch nicht. Ich würde mich selbst weder als Deutscher noch als Sri Lanker, sondern als Berliner bezeichnen. Ich nehme mir aus beiden Welten das raus, was mir am ehesten entspricht und stecke mich in keine Kategorie. Ich bin gleichwohl ein Mensch mit Migrationsgeschichte, denn die Biographie meiner Eltern einerseits wie auch persönliche Erfahrungen mit Rassismus und Othering in Deutschland haben meine Persönlichkeit geprägt und geformt.
Mich interessiert, wie du zur Eine Welt-Arbeit gekommen bist.
Studiert habe ich Geschichtswissenschaften mit Lehramtsbezug. Gerade das Fach Geschichte hat mein Blick für gewisse Themen jenseits des Tellerrandes geschärft. Ich kann mich erinnern, dass ich mich bereits zu Schulzeiten gefragt habe, warum Deutsche Geschichte „Geschichte“ hieß, die Geschichte anderer Regionen der Erde aber „lateinamerikanische“, „südostasiatische“ oder „nordafrikanische Geschichte“ hieß. Bei Lehrenden habe ich mich durch Hinterfragen dieser „tradierten“ Gegebenheiten nicht gerade beliebt gemacht, um nicht zu sagen, genervt. Durch persönliches Engagement während meiner Schul- und Studienzeit („Schule ohne Rassismus“, Fussballprojekte in Berlin-Kreuzberg, Nachhilfe) und später in der beruflichen Auseinandersetzung mit migrationsspezifischen Themen im Übergang Schule-Beruf oder Bildungsthemen mit Bezug zu Diversity und Gender bin ich dann über Umwege zur Einen Welt-Arbeit gekommen. Keine lineare Biographie, sondern eine mit vielen Schnörkeln und Umwegen. Aber vielleicht muss man manchmal Umwege in Kauf nehmen, um ans Ziel zu gelangen. Man weiß es nicht.
Wenn du Deutschland nach deinen Wünschen neu erfinden könntest, wie würde dieses Land, das ja deine Heimat ist, aussehen?
Ich zitiere gerne den Historiker und Pädagogen Klaus Bade, der gesagt hat, man müsse Migration als Normalfall der Gesellschaft akzeptieren. Ich sehe ein Deutschland, in dem Migrationshinter-, -vorder-, -unter- oder -obergrund kein Merkmal ist, um Andersartigkeit zu identifizieren oder um Menschen auszugrenzen. Sondern sehe ein Deutschland, in welchem wir akzeptieren, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind. Migration als Potenzial für unsere Gesellschaft sehen. Gleichwohl sind mir aktuell politische Veränderungen durch Populismus u.a. ebenso bewusst, denn keiner lebt in einer „Blase“ – oder sollte es zumindest nicht. Es geht in meiner Heimat um soziale Gerechtigkeit und darum, dass wir uns alle gemeinsam dafür von Neuem immer wieder einsetzen müssen. Vor der eigenen Haustür, aber auch global. Wie ein guter Freund von mir zu sagen pflegt: Wir sind nicht Menschen mit Migrationshintergrund, sondern Menschen mit globaler Identität.
Jeasuthan, alles Gute für deine Arbeit und vielen Dank für dieses Gespräch. (ado)