Jenseits des Trommelworkshops –
Die Rolle der afrikanischen Diaspora in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit
(Autor: Serge Palasie; der vorliegenden Text ist im VENRO-Jahrbuch Globales Lernen 2014 erschienen. Das Jahrbuch kann kostenlos bezogen werden.)
Die Bedeutung der afrikanischen Diaspora in Deutschland wächst kontinuierlich. Dies gilt für zahlreiche Bereiche – angefangen von kulturellen Angeboten über Angelegenheiten mit einem Bezug zum Thema Integration bis hin zur Vermittlung entwicklungspolitisch relevanter Themen. Gerade der Bereich der entwicklungspolitischen Bildung findet jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung zugunsten der beiden erstgenannten Bereiche trotz aller positiven Entwicklungen in den letzten Jahren nach wie vor keine adäquate Beachtung. Denn oftmals hat man den Eindruck, dass in Bezug auf die Aktivitäten der afrikanischen Diaspora der Filter des öffentlichen Bewusstseins besonders auf kulturelle Inhalte fixiert zu sein scheint, wozu unter anderem neben Modenschauen, Kulinarischem und Akrobatischem auch die im Titel erwähnten Trommelkurse gehören.
Die Reduktion auf die üblichen Stereotype
Nun ist gegen einen Trommelkurs an sich auch nichts einzuwenden. Die Pflege von Kultur und Tradition spielt ja auch in unseren Breitengraden eine wichtige Rolle. Ich selbst komme beispielsweise vom Fuße des Schwarzwaldes. Die Vielzahl der dort existierenden Heimat- und Kulturpflegevereine ist auch für „Einheimische“ kaum zu überschauen. Und von jung bis alt ist da alles vertreten. Zulauf garantiert. Aber zwischen den Schwarzwälder Bollenhüten einerseits und den Trommelkursen andererseits gibt es einen wichtigen Unterschied: Der durchschnittliche Mensch aus einem Land des sogenannten Globalen Südens erwartet – auch durch die einseitige Medienberichterstattung bedingt – von den Menschen im „entwickelten Norden“ alles andere als Bollenhüte oder auch Lederhosen, um noch ein Beispiel aus Bayern hinzuzunehmen. Wenn er damit in Berührung kommt, dann hat er schon so viele andere Dinge kennengelernt, die dann letztlich das Bild seines Gegenübers bestimmen. Um bei den beiden Bundesländern zu bleiben: Mercedes-Benz beziehungsweise BMW bestimmen im Regelfall das Gesamtbild, Bollenhut beziehungsweise Lederhose sind höchstens Fußnoten, die das Gesamtbild ergänzen, aber nicht mehr grundlegend verändern können. Mit dem Trommelkurs verhält es sich in der Regel genau umgekehrt: Nicht nur der Durchschnittmensch in unseren Breitengraden, sondern selbst einige sogenannte Experten in Nord-Südangelegenheiten haben – wenn auch oftmals unterschwellig – ein voreingenommenes Bild von Afrika beziehungsweise AfrikanerInnen. Darin spielen genau solche Dinge wie Modenschauen, Kulinarisches, Akrobatisches und ja – auch Trommelkurse eine wichtige Rolle. Jetzt würden sich vielleicht einige „Ertappte“ verteidigen wollen, indem sie sagen: „Aber das sind doch alles positive Zuschreibungen! Ich weiß gar nicht, was ihr habt!“ Das könnte man schon so sehen. Immerhin hat man Afrika und seine Menschen auf diese Weise nicht nur auf die negativ konnotierten „Drei Ks“ (Krisen, Kriege, Katastrophen) reduziert. Aber sowohl diese negativen als auch die vermeintlich positiven Assoziationen sind Vereinfachungen, die eine lange Geschichte haben und an deren Anfang bewusste Stereotypisierungen standen, die unter anderem den Transatlantischen Sklavenhandel oder die Kolonialzeit zu rechtfertigen versuchten.
Dies berücksichtigend ist an dieser Stelle festzuhalten, dass sämtliche im Folgenden aufgeführten Punkte, die die Arbeit mit der im entwicklungspolitisch relevanten Bereich tätigen afrikanischen Diaspora betreffen, letztlich lediglich persönliche Erfahrungswerte sind, die immer nur einen Teilausschnitt der Realität repräsentieren können. Der vorliegende Artikel kann also nur als Versuch verstanden werden, Universalien, wiederkehrende Muster und Tendenzen darzustellen, ohne dass dabei jemals ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhoben werden könnte.
„Rollenspiele“
Um nun konkret auf die Rolle beziehungsweise die Zusammenarbeit mit der organisierten afrikanischen Diaspora einzugehen, soll erst einmal Grundsätzliches erläutert werden, das eigentlich auch als Binsenwahrheiten übersprungen oder ausgelassen werden könnte, aber die tägliche Erfahrung zeigt, dass Letzteres eben doch nicht getan werden kann. Erstens ist es wichtig anzuerkennen, dass es nicht die eine entwicklungspolitisch aktive afrikanische Diaspora gibt, genauso wenig wie es beispielsweise auf der anderen Seite nur den einen Typus von Eine-Welt-Akteur gibt (wer im Allgemeinen als Eine-Welt-Akteur definiert wird, ist noch an gegebener Stelle zu klären). Auf beiden Seiten erlebe ich nicht selten, dass aber genau so von der jeweils anderen Seite gedacht wird.
Da die Fachstelle für Migration und Entwicklung NRW davon überzeugt ist, dass eine langfristig erfolgreiche entwicklungspolitisch bezogene Arbeit nur unter der Beteiligung aller relevanten Akteure stattfinden kann, ist es hier von zentraler Relevanz, darauf hinzuweisen, dass man sich trotz des im Menschen angelegten Hangs zur Verallgemeinerung dennoch stets erneut bewusst machen muss, dass man jedem neuen Akteur, mit dem man es zu tun hat, möglichst unvoreingenommen begegnet. In den meisten Fällen ist ein offener, zielorientierter Umgang miteinander die Grundlage einer Zusammenarbeit, in der die verschiedenen beteiligten Akteure nicht nur einfach à la Additionsprinzip ihre Kräfte und Ressourcen gebündelt haben; darüber hinaus entstehen durch den fruchtbaren Austausch, in dem unterschiedliche Perspektiven auf ein und denselben Sachverhalt zum Tragen kommen, oftmals gänzlich neue Ideen, die in ihrer letztendlichen Form jeweils isoliert voneinander agierend nicht entstehen hätten können. Am Ende stehen nicht selten entwicklungspolitisch relevante Aktivitäten, die in Bezug auf ihre Kohärenz kaum oder nicht mehr anzutasten sind. Um Letzteres zu erklären: Von Kohärenz kann meiner Meinung nach keine Rede sein, wenn – überspitzt formuliert – mehrheitlich „deutsche Gutmenschen“ aus einem oftmals unterbewussten und gut gemeintem Paternalismus heraus versuchen, entwicklungspolitisch aktiv zu werden, ohne sich dabei jemals mit der / den jeweiligen entwicklungspolitisch aktiven MO aus ihrer Stadt, Region etc. zwecks Zusammenarbeit in Verbindung zu setzten. „In Verbindung setzten“ geht hierbei über das Generieren eines „Vorzeigemenschen“ aus dem sogenannten Globalen Süden selbstverständlich hinaus. Wenn ein Projekt weitestgehend oder gar vollständig geplant worden ist und man erst dann entsprechende migrantische Akteure mit ins Boot holt und dann auch noch feierlich von Teilhabe spricht, dann braucht man sich nicht wundern, wenn man von eben dieser migrantischen Seite – und im Übrigen auch von kohärent arbeitenden Eine-Welt-Akteuren ebenfalls – den Vorwurf zu hören bekommt, dass man aus Kalkül und nicht aus Überzeugung mit migrantischen Akteuren kooperiert habe. Denn es macht sich ja immer gut und steigert die Glaubwürdigkeit von Projekten mit Bezug zum Globalen Süden, wenn auch sichtbar ein oder mehrere Menschen aus den entsprechenden Weltgegenden mit im Boot zu sein scheinen.
An dieser Stelle soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Zusammenarbeit zwischen Eine-Welt- und MO-Szene quasi generell alternativlos ist. Beide Seiten haben natürlich Arbeitsfelder, in denen eine automatisierte und ständige Kooperation nur begrenzt Sinn machen würde. Da etwas zwanghaft etablieren zu wollen, wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Aber es kann meiner Meinung nach beispielsweise nicht sein, dass ein Eine-Welt-Akteur meint, nur weil er schon einmal drei Monate im Land XY gewesen ist und darüber hinaus auch noch viel darüber gelesen hat, er sei der Experte per se und es daher sowohl in der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit, aber auch bei Auslandsprojekten keinerlei Kooperation oder zumindest Austausch mit entsprechenden migrantischen Akteuren bedürfe (wobei hierbei – in Bezug auf Auslandprojekte – am Rande erwähnt werden muss, dass man da zumindest mit den Partnern vor Ort in der Regel kooperieren muss). Diesen Typus begegnet man aber noch viel zu häufig – trotz all der positiven Entwicklungen der letzten Jahre. Selbst relativ bedeutende Entscheidungsträger haben schon wie selbstverständlich sinngemäß Äußerungen von sich gegeben, in denen sie tatsächlich meinten, dass man beispielsweise als deutscher Projektplaner besser wisse, welche Projekte im Land XY gerade nötig seien, da man sich ja schon Jahre lang mit der dortigen Situation beschäftige und im Gegensatz zu den MO-Vertretern über die nötige Distanz und Objektivität verfüge, um Projekte zu realisieren, die am Ende nicht nur der eigenen Familie, dem eigenen Klan etc. zugute kämen. Dass bei so Denkenden die Rolle der Partner vor Ort klar umrissen ist, braucht nicht näher erläutert zu werden. Für solche Menschen sind klar verteilte Rollenverständnisse (Helfer – Hilfsbedürftige) der Arbeitsantrieb an sich. Tatsächliche Augenhöhe ist da fehl am Platz, denn wenn die da wäre, wüssten solche Menschen nicht mehr, was sie tun sollten. Ihre „sinnspendenden Tätigkeiten“ wären dann nämlich obsolet geworden.
Entwicklungspolitische Inhalte gewinnen an Bedeutung
In ein solches Weltbild passt die ständig wachsende Zahl von entwicklungspolitisch aktiven MO und anderen migrantischen Akteuren nicht. De facto gibt es immer mehr MO, die ihr „originäres“ Arbeitsfeld Integration schon längst um das Arbeitsfeld Entwicklungspolitik erfolgreich erweitert haben. Hier kann – wie weiter oben angedeutet – auf den Begriff Eine-Welt-Akteur eingegangen werden: Primär entwicklungspolitisch aktive MO-VertreterInnen sind auch Eine-Welt-Akteure. Vielfach war und ist die Einteilung in Eine-Welt-Szene einerseits und MO andererseits in meinem täglichen Umgang mit VertreterInnen beider Seiten Thema. Gerade aufseiten der MO löst dies immer wieder Diskussionen aus. MO wird zwar als Begriff weitestgehend akzeptiert. Dennoch haftet ihm der Charakter eines Sammelbegriffs / Überbegriffs an, der in der Wahrnehmung nicht weniger MO-VertreterInnen den nicht ganz aus der Luft gegriffenen Verdacht erweckt, dass man auf deutscher Seite die thematische Vielschichtigkeit und Komplexität der Aktivitäten von MO in den Hintergrund stellt, um den sogenannten Migrationshintergrund vor alles andere zu stellen.
Das kann ohne ernsthafte Konsequenzen belächelnd wahrgenommen werden, aber auch zu einer Enttäuschung aufseiten der MO führen, die eine potentiell fruchtbare Zusammenarbeit mit der Eine-Welt-Szene verhindert. (Aus Gründen des Verständnisses werde ich weiterhin mit den beiden Begriffen / Konstrukten arbeiten beziehungsweise sie so benutzen, wie sie aktuell im Allgemeinen verstanden und verwendet werden). Denn genauso wie aufseiten der Eine-Welt-Akteure Vorurteile und / oder schlechte Erfahrungen über das Pro und Contra einer etwaigen Zusammenarbeit mit MO entscheiden, genauso geschieht dies selbstverständlich umgekehrt auch: MO, die einmal oder öfters mit dem oben beschriebenen Typus von Eine-Welt-Akteur Erfahrung gemacht haben, können sich einer potentiell fruchtbaren künftigen Zusammenarbeit versperren und tun dies auch. Das Gefühl nicht ernst genommen zu werden, nicht ebenbürtig behandelt zu werden und eigentlich nur als Handlanger, Mittelsmann, Ideengenerator oder Vorzeigemigrant eingespannt zu werden, spielt hierbei eine wichtige Rolle. Ehrliche Partizipation statt Double Speak sollte die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure bestimmen. Wenn man aber beispielsweise das Gefühl hat, dass ein Ausdruck wie „Kooperation auf Augenhöhe“ zu einer inflationär gebrauchten Floskel degradiert worden ist, dann kann dies zu einer dauerhaften Enttäuschung führen.
Daraus kann wiederum schnell die Versuchung entstehen, dass man die „Opferkarte“ zu spielen versucht. Wortgewandte FürsprecherInnen einer als in allen Bereichen als benachteiligt empfundenen Gruppe schlagen somit Kapital aus der Existenz der oben erwähnten Eine-Welt-Akteure, die nicht wirklich auf Augenhöhe handeln zu wollen scheinen. Diese „Stimmen der Schwachen“, die es nicht nur aufseiten der MO selbst gibt, malen nicht selten beim geringsten Verdacht den Teufel an die Wand, wollen überall Kalkül, Rassismus und Benachteiligung sehen. Dass es strukturelle Benachteiligung nach wie vor gibt und ansonsten auch noch vieles getan werden muss, bis man von einer Gesellschaft sprechen kann, in der alle gleichberechtigt leben können, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber alles – einschließlich des eigenen Scheiterns – ausschließlich damit rechtfertigen zu wollen, bringt niemanden weiter. Die so Agierenden bremsen das eigene Vorankommen sowie das Vorankommen einer effektiveren und kohärenteren Eine-Welt-Arbeit genauso wie es die weiter oben erwähnten „paternalistischen Gutmenschen“ tun. Letztlich führen also die Wege der beiden vermeintlichen Gegenpole zu ein und demselben Ziel, nämlich der Wahrung des status quo im negativen Sinne.
Dieser Artikel will mit Sicherheit keine Schwarzmalerei betreiben. Wie schon kurz weiter oben angedeutet, sieht die Fachstelle für Migration und Entwicklung NRW in einer zunehmenden Kooperation – da, wo es Sinn macht – und nicht in einem parallelen „Aneinander-Vorbeiarbeiten“ den anzustrebenden Idealzustand. Die tagtägliche Fachstellearbeit versucht diese Kooperation durch diverse dafür geschaffene Instrumente gezielt voranzutreiben. So fanden beispielsweise von Dezember 2012 bis Februar 2014 sieben sogenannte EMPOWERMENT DAYS in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens statt. An der Planung und Durchführung jedes einzelnen von ihnen waren stets VertreterInnen aller Seiten von Anfang an mit im Boot. Dementsprechend lag auch die Ownership der jeweiligen Veranstaltung jeweils bei allen beteiligten Akteuren. Das Wort Empowerment bezieht sich also – und das war beiden Seiten am Anfang nicht unbedingt klar – nicht ausschließlich auf die Ermächtigung der afrikanischen Diaspora in Deutschland, sondern vielmehr auf die Ermächtigung der Zusammenarbeit unterschiedlicher Afrika-Engagierter, zu denen neben den beiden bereits erwähnten Akteuren auch viele andere, so beispielsweise VertreterInnen aus dem Hochschulbereich, den Kommunen oder aber auch aus der Wirtschaft gehören können.
Expertentum
Da es meiner Meinung nach aber die Gefahr in sich birgt, dass durch das ständige, fast schon inflationäre Bekunden des Prinzips der Augenhöhe, der gleichberechtigten Partizipation sowie durch das alternativlos gewordene Verwenden von politisch korrekten Ausdrücken und Bezeichnungen etc. die nach wie vor sich im Argen befindenden Sachverhalte bewusst oder unbewusst schön- beziehungsweise weggeredet oder zumindest überdeckt werden, ist es umso wichtiger, zu zeigen, wo und weshalb der Schuh noch drückt. Weiterhin bestehende Entwicklungspotentiale müssen wahrgenommen und angegangen werden. Der verzerrte Blick auf den tatsächlichen Stand wäre unter Umständen hinderlich für künftige Entwicklungen. Die seit Jahren positiven Entwicklungen würden dadurch zwar nicht zwangsläufig stagnieren, aber ein Bremseffekt, eine verlangsamte Entwicklung der gleichberechtigten Kooperation aller Akteure, die gleichbedeutend mit einer kohärenten entwicklungspolitisch motivierten Arbeit ist, wäre sicherlich eine mögliche Folge.
Damit würde das spezifische Potential von afrikanischen MO – zum Nachteil aller beteiligten Akteure – nicht vollständig genutzt werden. Es spricht ja nichts gegen einen Vortrag zum Kakaoanbau und seinen Folgen in Ghana, den beispielsweise ein Akteur aus der Eine-Welt-Szene oder ein/e gerade zurückgekehrte/r weltwärts-Freiwillige/r etwa im Rahmen eines Info-Nachmittags an einer Schule hält, um somit auf das Thema gegenüber einem breiterem Publikum aufmerksam zu machen. Dass ein noch so gut recherchierter Vortrag möglicherweise einige „Rest-Schwachstellen“ aufweist, merkt man aber spätestens dann, wenn zufällig ein/e sachkundige/r GhanaerIn dem Vortrag beiwohnt. Die „Restschwachstellen“ können sich hierbei sowohl auf Inhaltliches als auch auf die Art und Weise des Vortrags beziehen. Inhaltlich ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass eine ortsfremde Person aus verschiedenen Gründen heraus möglicherweise nicht die gesamte Komplexität eines Sachverhaltes erfassen konnte oder ihr aber schlicht nicht alles Relevante mitgeteilt wurde. Die Gefahr, Teilausschnitte der Realität vor Ort verabsolutieren zu wollen, ist immer präsent. Wenn dann das Publikum auch noch hundertprozentig davon abhängig ist, den Schilderungen, die es vorgetragen bekommt, Glauben zu schenken, dann können schnell falsche oder zumindest unvollständige Bilder entstehen, weitergegeben werden, sich verfestigen und am Ende verselbstständigen. Um auf die Art und Weise des Vortrags zu sprechen zu kommen: Wenn die / der Vortragende den zu beleuchtenden Sachverhalt vor Ort schon von vornherein – und dagegen ist man trotz aller gegenteiliger Absichtserklärungen als Mensch im Allgemeinen nie zu hundert Prozent resistent – durch die Brille oder den Filter seiner jeweils eigenen spezifischen Sozialisierung wahrnimmt, interpretiert und in (s)ein bereits existentes Ordnungssystem einbettet, dann geht dies über rein inhaltliche Auslassungen noch hinaus. Heute ist es allgemeiner Konsens, dass Bücher wie „Herz der Finsternis“ nie hätten entstehen können, wenn man seinerzeit nur einer kleinen afrikanischen Abordnung die Möglichkeit der Richtigstellung des im Buch Dargestellten zugestanden hätte. Da dies aber nicht geschah, konnten sich Unwahrheiten verfestigen und verstetigen, sodass das vielfach bestehende Afrikabild bis heute noch unter anderem auf solch eine „Literatur“ zurückzuführen ist. Wenn wir nun aber tatsächlich meinen, dass die Kolonialzeit seit Langem überwunden sei (was sie formal ja auch Gott sei Dank ist) und an ihre Stelle das gleichberechtigte Miteinander getreten ist, dann gilt auch für den „harmlosen“ Vortrag zum Kakaoanbau, dass stets Vorsicht geboten ist.
Nun ist selbstverständlich nicht jeder Mensch aus dem sogenannten Globalen Süden per se ein Experte, wenn es um die Themen geht, die bei uns in der entwicklungspolitisch aktiven Szene „Konjunktur haben“; aber trotz des Bewusstseins darüber kann dieser Umstand nicht als Ausrede dafür dienen, dass man deshalb von vorneherein keine Person aus dem entsprechenden Land des sogenannten Globalen Südens hinzugezogen hat. Aber genau dies passiert ständig und ich möchte den so Handelnden nicht einmal Kalkül oder Ähnliches unterstellen: Oftmals führt der bloße Umstand, dass man kaum persönlichen Kontakt zu Personen des Globalen Südes in Deutschland hat zusammen mit nach wie vor bestehenden Berührungsängsten – die auf beiden Seiten vorhanden sind – dazu, dass man seinen Vortragsentwurf eben nicht noch einmal von einer Person aus ebendem Land XY gegenchecken lässt, während man gleichzeitig auf der anderen Seite möglicherweise fünf weiteren weltwärts-RückkehrerInnen die Möglichkeit dazugegeben hat. Da muss sich definitiv etwas tun. Engagement für und erfreulicherweise auch immer häufiger mit VertreterInnen aus dem sogenannten Globalen Süden hier und in den Herkunftsländern für die Eine Welt kann meiner Meinung nach nur dann langfristig erfolgreich sein, wenn sich die Menschen auch unabhängig von diesem zielorientierten Engagement – also auch zunehmend im ganz normalen privaten Leben als Freunde begegnen. Da ist auf beiden Seiten Handlungsbedarf. Aber das ist etwas, das man weder verordnen kann, noch soll.
Fazit
Nun könnte noch vielfach auf Details des als spezifisch betrachteten Wissens der afrikanischen Diaspora in Deutschland eingegangen werden. Zudem könnte man noch die die Effizienz bremsenden „internen“ Konflikte behandeln, die unter anderem – neben rein inhaltlichen Aspekten – persönlich und / oder aber auch nationalistisch geprägt sein können (Dass es nicht die eine afrikanische Diaspora gibt, versteht sich von selbst). Auf Beides soll im Rahmen dieses Artikels verzichtet werden. Im Fokus sollte vor allem die Rolle der afrikanischen Diaspora in Bezug auf ihre Zusammenarbeit mit der Einen-Welt-Szene stehen. Die isolierte Betrachtung der einen oder anderen Seite halte ich nur für begrenzt sinnvoll, wenn es darum gehen soll, dass der vorliegende Artikel einen kleinen Beitrag für eine effektivere und selbstverständlichere Zusammenarbeit aller Akteure im Eine-Welt-Bereich leisten soll.
Abschließend ist festzuhalten, dass die wachsende Rolle der organisierten afrikanischen Diaspora in Deutschland als ein positives Resultat einer letztlich doch positiven gesamtgesellschaftlichen Entwicklung anzusehen ist. Alle noch bestehenden Entwicklungspotentiale dürfen nicht darüber hinwegtäuschen oder gar zwecks Instrumentalisierung dazu missbraucht werden, das bisher Erreichte schlecht- oder wegreden zu wollen. Die Fachstelle für Migration und Entwicklung NRW wird weiterhin ihren Beitrag dazu leisten, dass der eingeschlagene Pfad weiterverfolgt wird.