Nicht zuletzt der Briefwechsel zwischen dem Berliner Verein „glokal“ und dem Welthaus Bielefeld sorgten dafür, nun einige Beobachtungen zu diesem Thema loszuwerden. Gegenstand des Briefwechsels ist die Broschüre „Wo geht´s bitte nach weltwärts?“ Auf Details dieser Auseinandersetzung soll nicht näher eingegangen werden. Es genügt, wenn festgehalten wird, dass „glokal e.V.“ inhaltliche Kritik an der Broschüre zum Freiwilligenprogramm „weltwärts“ äußert. Unter anderem würden rassistische Vorurteile durch die Broschüre verbreitet beziehungsweise gefestigt und das Entstehen von Überlegenheitsgefühlen der potentiellen Freiwilligen aus Deutschland unterstützt.
Tatsächlich habe ich schon Äußerungen von „weltwärts“-RückkehrerInnen oder aber auch anderen Personen gehört, die sich mit dem sogenannten globalen Süden auf die eine oder andere Weise befassen, die einem wirklich zu denken geben. Ich selbst erlebte im Rahmen eines zweimonatigen Stipendienaufenthalts in Mali ebenfalls unmittelbar, wie ein großer Teil meiner mitgereisten KommilitonInnen arrogant, besserwisserisch und unsensibel auftrat. Schlimm ist, wenn sich solche Leute auch noch seit Jahren mit Kolonialismus, Critical Whiteness Studies und verwandten Themen befassen und zwar in der Theorie alles zu wissen scheinen, im Alltagsleben im sogenannten globalen Süden jedoch ihr wahres Gesicht zum Vorschein kommt.
Aber genug. Ich beabsichtige mit diesem Text nicht, den eingangs erwähnten Konflikts zugunsten einer Seite zu werten. Dazu ist die Thematik viel zu komplex. Außerdem gibt es viel zu viele positive Gegenbeispiele. Eine generalisierende Unterstellung in die eine Richtung ist genauso gefährlich wie in die andere: Wenn man in sämtlichen Äußerungen und Handlungen von VertreterInnen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft Paternalismus, Besserwisserei und Arroganz zu vermuten meint, dann muss man sich selbst den Vorwurf gefallen lassen, aus einer übertriebenen Opferhaltung heraus alles unreflektiert und gezielt spitzfindig schlechtzureden, was VertreterInnen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf den sogenannten globalen Süden sagen oder machen. Natürlich muss man feinfühlig sein für oftmals unbewusste, aber dennoch vorhandene Stereotypisierungen, die über Jahrhunderte als Mittel der Machtausübung benutzt wurden und somit in Teilen des „kollektiven (Unter)Bewusstseins“ – trotz zahlreicher Anstrengungen dies zu ändern – verankert sind. Die Unterstellung jedoch, in allem, was engagierte BürgerInnen machen, neokolonialistische, rassistische oder vergleichbare Absichten erkennen zu wollen, geht zu weit. Damit instrumentalisiert man das Thema zu seinen eigenen Gunsten. Dadurch schafft man sich bestenfalls eine komfortable berufliche Position und im schlechtesten Fall zumindest noch eine Ausrede für individuelles Scheitern à la „Nur weil ich schwarz / Türke / Frau / schwul etc. bin.“ Mit einer solchen Haltung erübrigt sich die Suche nach weiteren Ursachen. Die Summe der so handelnden Personen lähmt das Weiterkommen, den Emanzipierungsprozess und folglich das Empowerment der Gesamtheit. Ohne es zu wollen, fördern sie somit einen Status quo, den es eigentlich zu überwinden gilt. Nichts anderes – nämlich den Status quo aufrechterhalten – machen die tatsächlich paternalistisch und von oben herab Handelnden. Die beiden vermeintlichen Gegenpole kommen also mit unterschiedlichen Mitteln zum selben Resultat.
Um zum eingangs erwähnten Konflikt zurückzukommen: Ein deutlich größerer Anteil von Diasporaangehörigen in „weltwärts“-Programmen (und überhaupt in zahlreichen entwicklungspolitisch relevanten Bereichen) würde wahrscheinlich dafür sorgen, dass solche Konflikte künftig seltener entstehen würden. Die Tatsache, dass neben den leitenden Personen auch die meisten Freiwilligen aus der soliden Mittelschicht der Mehrheitsgesellschaft stammen, bietet natürlich eine Angriffsfläche für diejenigen, die solche Programme als eine Art Neokolonialismus darstellen wollen. Daher ist es auch für die Fachstelle von zentraler Bedeutung insbesondere junge Menschen mit Migrationshintergrund für dieses Thema zu sensibilisieren und vor allem zu begeistern. Es tut sich zwar schon einiges. Vielmehr ist aber noch zu tun.