Insbesondere in den letzten Jahren wurde das entwicklungspolitische Potential von Diasporagemeinden Teilen von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zunehmend bewusst. Verschiedene Initiativen, Kampagnen sowie Förderprogramme versuchen dieses Potential, diese Chance zu nutzen. Es liegt auf der Hand, dass sich einige Mitglieder zahlreicher Diasporen einfach am besten auskennen, wenn es um ihre Heimatländer geht. Dies gilt beispielsweise sowohl für die aktuelle Lage, über die regelmäßig Informationen aus erster Hand geliefert werden, als auch für das Knüpfen von vertrauensvollen Kontakten, die die Grundlage jeder auf Nachhaltigkeit bedachten Tätigkeit sind. Auf diese Weise leistet die Diaspora ihren Beitrag bei der Realisierung von entwicklungspolitischen Zielsetzungen wie etwa den Millennium Development Goals (MDGs). Wenngleich bei Weitem nicht davon auszugehen ist, dass wahllos jede/r Angehörige/r einer bestimmten Diaspora potentiell in entwicklungspolitische Tätigkeiten „eingespannt“ werden kann und will, so ist dennoch klar, dass diejenigen, die sich in diesem Bereich engagieren, oftmals über Know-How verfügen, von dem ein sogenanner studierter „Experte“ der Mehrheitsgesellschaft in zahlreichen Fällen nur träumen kann. Aber da beginnt das Problem: Oftmals meinen Letztere, sie seien aufgrund ihrer Studien und einiger Auslandsaufenthalte in Land XY qualifizierter als diejenigen, die aus genau diesem Land XY stammen und sich nicht nur aus der Ferne weiterhin damit auseinandersetzen. In einer Gesellschaft, in der Abschlüsse und Titel auf dem Papier oft mehr wert sind als nicht zertifizierte Expertise und Erfahrung, werden nach wie vor entwicklungspolitisch relevante Themen zunächst ohne die jeweiligen VertreterInnen der Diasporen besprochen. Oftmals werden diese VertreterInnen erst dann mit ins Boot geholt, wenn alle wesentlichen Entscheidungen getroffen worden sind. Dann wird nicht selten feierlich von Teilhabe der MigrantInnen gesprochen und sich selbst auf die Schulter geklopft. Ein solches Handeln ist eine Gefahr. Man riskiert damit langfristig das Vertrauen derjenigen, die nicht zur sogenannten Mehrheitsgesellschaft gehören. Es sieht nämlich teilweise so aus, als ob man die Angehörigen der Diaspora nur als middlemen, als Vermittler, als Türoffner und ausführende Elemente benötigt. Diese oft unterbewusste Haltung à la „wir für euch“ oder „wir meinen es doch nur gut mit euch“, dieser gut gemeinte Paternalismus, der die Option „wir mit euch“ ignoriert, könnte bestenfalls als naiv bezeichnet werden. Wenn man es jedoch überspitzter ausdrücken möchte, könnte man den so eigenmächtig Agierenden unterstellen, dass sie letztlich eine historisch gewachsene Politik unter modifizierten Vorzeichen weiter betreiben. Einige Fakten würden eine solche Unterstellung sogar stützen: Die Diskrepanz des durchschnittlichen Einkommens zum Beispiel zwischen Subsahara-Afrika und Europa hat sich seit dem Jahr 1960 bis heute trotz Jahrzehnten der Entwicklungszusammenarbeit mehr als verdoppelt. Die Terms of Trade haben sich im selben Zeitraum drastisch verschlechtert, das heißt, dass die Menge der Rohstoffe, die die sogenannten Entwicklungsländer exportieren müssen, um ein industriell gefertigtes Erzeugnis wie beispielsweise einen Traktor importieren zu können, ständig steigen muss. Da ist es nicht verwunderlich, wenn die Frage gestellt wird, wer hier eigentlich wen entwickelt. Nun könnte ja ewig so weiter gemacht werden. Da aber mittlerweile andere globale Player auf den Plan getreten sind, die trotz aller ökonomischen Interessen es dennoch verstehen zu scheinen, mehr tatsächlich ernst gemeinte Augenhöhe und weniger Sendungsbewusstsein in Rahmen ihrer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit walten zu lassen, ist es nun höchste Zeit, die Ebene der schönen Worte und Absichtserklärungen zu verlassen. Die Ära des Double-Speaks sollte auch im eigenen Interesse der Vergangenheit angehören. Passive Teilhabe von Diasporagemeinden muss konsequenter in aktives Power-Sharing umgewandelt werden – und das selbstverständlich nicht nur in Bezug auf Entwicklungspolitik in engerem Sinne, also mit unmittelbarem Nord-Südbezug, sondern auch bezogen auf sämtliche entwicklungspolitisch bzw. bildungspolitisch relevante Aktivitäten der Inlandsarbeit vom globalen Lernen bis hin zum Thema Fair Trade. Wer hier weiterhin die Verzögerungstaktik anwendet, sägt sich mittel- und langfristig selbst ab. Glücklicherweise tut sich ja mittlerweile viel in diesem Bereich und es wäre falsch, überall gleich den Teufel an die Wand malen zu wollen. Entwicklungspotential gibt es aber noch jede Menge.
Ehrliche Partizipation statt Double-Speak
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