Ein Artikel aus der Süddeutschen Zeitung (20.03.2014) von Gisela Burckhardt (Femnet e.V.):
Blutige Kleidung
Ein Jahr nach dem Einsturz eines Fabrik-Hochhauses in Bangladesch drücken sich immer noch viele Firmen vor Entschädigungen.
Das Entsetzen war groß: 1138 Tote, begraben unter dem Hochhaus Rana Plaza mit fünf Fabriken, das am 24.April 2013 in Sabhar in Bangladesch einstürzte. Der Besitzer hatte illegal drei weitere Stockwerke auf das fünfstöckige Gebäude gesetzt. Genäht wurde dort für Europa und die USA: Jeans, T-Shirts, Schlafanzüge. 200 Menschen überlebten, viele von ihnen schwer verletzt, manchen mussten Beine oder Arme amputiert werden, um sie aus den Trümmern bergen zu können. Viele bleiben für immer arbeitsunfähig. Sie benötigen langfristige Hilfe. Manche der Überlebenden halten dieses Überleben nicht aus. Salma zum Beispiel war 27 Jahre alt Sie hatte im 6. Stock für New Wave Style genäht. Sie wurde nach vier Tagen aus den Trümmern befreit. Am 31. Januar 2014 erhängte sie sich in ihrer Hütte. Nachbarn erzählten, dass sie sich öfters selbst schlug, mit Stöcken, Schuhen, einem Holzlöffel. Ab und zu schlug sie ihren Kopf gegen die Wand, weil sie so große Kopfschmerzen hatte.
Die meisten Unternehmen, die in Rana Plaza produzieren ließen, verweigern noch immer jede Entschädigungszahlung. Von den 28 Marken, von denen bekannt ist, dass sie Aufträge an eine der Fabriken in Rana Plaza vergeben hatten, kamen nur neun im September 2013 zu einem Treffen in Genf bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Ende Dezember wurde endlich unter der Leitung der ILO ein Fonds eingerichtet. Der Finanzbedarf für die Entschädigung von Familienangehörigen und Verletzten gemäß der ILO-Konvention 121 (Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten) beläuft sich auf 40 Millionen Dollar.
Bisher haben nur acht Unternehmen Zahlungen zugesagt: Bonmarché, El Corte Inglés, Inditex (Zara), Mango, Mascot, Loblaw, Primark und Premier Clothing. Dabei will Primark nur eine Million Dollar in den gemeinsamen Fonds einzahlen und neun Millionen direkt an die 581 Opfer und ihre Familien, die für ihren Zulieferer arbeiteten. Das Ausscheren aus dem gemeinsamen Fonds trifft auf Kritik, weil es Streit geben könnte, wenn einige Opfer mehr erhalten als andere. So positiv ist es, dass Primark sich seiner Verantwortung stellt, so ärgerlich ist dennoch, wenn es dem Unternehmen primär um Imagepflege geht.
Und die deutschen Unternehmen? Der Modehersteller KiK-Textilien aus dem nordrheinwestfälischen Bönen ließ in Rana Plaza produzieren. Zahlreiche KiK-Textilien einer Kollektion, die Verena Pooth präsentierte, wurden dort gefunden. Helfer zogen sich sogar am Unfallort T-Shirts von KiK an, die in den Ruinen lagen. Nachdem die Beweislage erdrückend war, erklärte KiK, einer seiner Agenten habe ohne Wissen der Zentrale den Auftrag in Rana Plaza vergeben. Inzwischen verkündete das Unternehmen, sich an einem „angemessenen Unterstützungssystem“ beteiligen zu wollen, konkrete Zusagen wurden bisher nicht bekannt und von der ILO-Webseite nicht bestätigt. Andere deutsche Unternehmen sich nicht besser: Auch Adler behauptete, ein Auftrag sei ohne sein Wissen von einem asiatischen Lieferanten vergeben und vor dem Einsturz des Gebäudes bereits abgewickelt worden. Doch ein Foto zeigt eindeutig eine Bluse der Marke Bexleys von Adler in den Trümmern von Rana Plaza. Aus „humanitären Gründen“ habe das Unternehmen 20 000 Euro gespendet, sagt es. Doch es geht nicht um Spenden, sondern um die Verantwortung für die gesamte Lieferkette. Schließlich profitieren die Unternehmen von den niedrigen Löhnen in Bangladesch. NKD aus dem oberfränkischen Bindlach gibt zwar zu, dass ein Agent im Jahr vor dem Unglück Aufträge in Rana Plaza platziert habe, das Unternehmen hat aber bisher kein Geld zugesagt. Es geht ja nur um Näherinnen, nicht um Aktionäre.
Der öffentliche Druck hat immerhin dazu geführt, dass inzwischen 150 vorwiegend europäische Unternehmen, darunter als größte Gruppe 46 aus Deutschland, einem Gebäude- und Brandschutzabkommen (Accord) beigetreten sind. Dieses wurde von einigen Unternehmen, lokalen Gewerkschaften und auch der Clean Clothes Campaign (CCC) ins Leben gerufen. Accord erfasst ungefähr 1700 Fabriken mit mehr als zwei Millionen Beschäftigten in Banladesch. Auch elf US-Dirmen haben unterzeichnet, nicht jedoch Walmart und Gap. Beiden US-amerikanischen Unternehmen geht das Abkommen zu weit, denn es ist gesetzlich verbindlich. Da der öffentliche Druck aber groß ist, haben sie eine eigene Initiative gegründet, mit 26 Unterzeichnern, die bei circa 700 Firmen produzieren lassen. Schließlich gibt es noch den Tripartite National Action Plan (NAP) unter Leitung der internationalen Arbeitsorganisation ILO und der Regierung Bangladeschs. Mit ihm sollen jene Fabriken überprüft werden, die durch die anderen Abkommen nicht erfasst sind.
In den Textilfabriken sollen so Statistik, Elektrik und Feuerschutz verbessert werden. Inn den meisten Fabriken fehlen Sprenkleranlagen, auch Türen für Notausgänge, die schnell zu öffnen sind. Alle drei Initiativen haben sich immerhin auf einen Mindeststandard und –austausch geeinigt. Allerdings scheinen bisher nur die größeren Fabriken erfasst zu sein. Wie viele kleinere es gibt, ist unbekannt. Die Unterzeichner von Accord haben sich zudem verpflichtet, die Fabrikbesitzer, die für mehr Sicherheut sorgen, mit Krediten oder Aufträgen zu unterstützen. Die Ergebnisse der Kontrolle werden veröffentlicht; Gewerkschaften erhalten zum ersten Mal Zutritt zu den Fabriken. In jeder Fabrik sollten die Beschäftigten ein Gesundheits- und Sicherheitskomitee wählen.
Die Abkommen sind ein großer Schritt hin zu mehr Sicherheit für die Näherinnen. Sie ändern allerdings nichts grundsätzlich die Arbeitsbedingungen, Weiterhin müssen die Beschäftigten, vor allem Frauen, bis zu 100 Stunden in der Woche arbeiten; sie sind Demütigungen, Beschimpfungen, sogar Tritten der männlichen Aufseher ausgesetzt. Gewerkschaften werden unterdrückt. Zwar wurde der Mindestlohn im Dezember von umgerechnet 30 auf 53 Euro im Monat angehoben. Bei einer Inflationsrate von mehr als 20 Prozent ist das allerding nicht viel. Der Monatslohn einer Näherin in Bangladesch müsste bei 256 Euro liegen, um eine vierköpfige Familie ernähren zu können. Nur die Hälfte aller Fabriken zahlte den Mindestlohn im Januar und Februar 2014 überhaupt aus. Viele Besitzer erklärten, sie könnten den neuen Lohn nicht zahlen, da die Einkäufer niedrigere Preise zahlten als noch vor einigen Jahren, trotz steigender Kosten.
Das ist die Realität: Die Unternehmen aus Europa und den USA reden gern von Sozialstandards und fairen Löhnen. In Wahrheit drücken sie die Preise. Es zahlen die Arbeiterinnen – manchmal mit ihrem Leben.