Themenmonat: #12 "Mehr Gegenöffentlichkeit herstellen und Brücken bauen" – Interview mit Ulla Rothe

CIMG0160Ulla Rothe von Afrique Europe Interact, seit 1999 bereise ich verschiedene Länder Westafarikas (Senegal, Gambia, Guinea, Ghana, Togo, Benin). Dort und hier mache ich bei verschiedenen Projekten mit – insbesondere zur Migrationspolitik und zur Situation an den EU-Außengrenzen.

 

 

Sehr geehrter Frau Ulla Rothe, dass es trotz vieler Anstrengungen nach wie vor ein weit verbreitetes und stark vereinfachtes Bild von Afrika bzw. Menschen afrikanischer Herkunft gibt, ist leider Fakt. Welche dieser Bilder – sei es in den Medien, sei es im ganz alltäglichen Leben – begegnen Ihnen häufig? Oder: Welche davon nehmen Sie besonders wahr?

Das von den Medien vermittelte Bild über den „schwarzen Kontinent“ ist eher ziemlich einseitig und stark vereinfacht. Auf der einen Seite wird Afrika als eine exotische Postkartenidylle mit faszinierender Tier- und Pflanzenwelt dargestellt. Auf der anderen Seite wird es als „Katastrophen-Kontinent“ gezeigt, der von Kriegen, Hungersnöten und anderen Unglücken beherrscht wird. Vom Kontinent wird ein düsteres Bild gezeichnet. Ein scheinbar hoffnungsloser Fall der Unterentwicklung und Armut. Dem hilflosen Afrika wird das überlegene Europa bzw. der Westen gegenübergestellt. Karitative Einrichtungen unterstützen diese grundlegende Einstellung häufig durch ihre Spendenaufrufe. So fordern uns auf Plakaten oder in Zeitschriften immer wieder hungrige afrikanische Kinder mit großen, traurigen Augen dazu auf, etwas von unserem Reichtum für die Rettung der Menschen in Afrika zu spenden. Siehe Berichterstattung zur derzeitigen „Ebola-Epidemie“ in Westafrika: die Bevölkerung ist zu dumm, Zusammenhänge über diese Krankheit zu verstehen und braucht Hilfe, die WHO soll mit millionenschwerem Notprogramm helfen. Thematisiert wird nicht, dass die Länder Liberia und Sierra Leone noch nicht lange sehr blutige Kriege wegen Ressourcen – vor allem Diamanten -hinter sich haben und der wirtschaftliche Wiederaufbau an dem Großteil der Bevölkerung vorbei geht. Der Wettstreit nach Ressourcen und deren Ausbeutung durch internationale Konzerne, Rohstoffhändler und Banken geht unvermindert weiter – hier werden Milliardengewinne gemacht -, doch er Großteil der Bevölkerung muss mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag (über-)leben.

 

Worin sehen Sie persönlich die Ursachen, dass sich diese historisch gewachsenen Bilder so hartnäckig halten?

Dies hängt aus meiner Sicht damit zusammen, dass in den Berichten der Massenmedien über Afrika häufig keine Betroffenen, das heißt Menschen mit Wurzeln in Afrika zu Wort kommen sollen, um über die (Lebens-)Situation in ihren Heimatländern zu berichten. So bekommen wir beispielsweise täglich Nachrichten über gelungene Fluchten, aber auch über viele Tote und Verletzte bei ihrem Versuch, die Grenzen nach Europa zu überwinden. In den Medien werden die Lebensumstände in den Heimatländern und die Zusammenhänge zwischen globaler Politik und dem erhöhten Migrationsdruck für Einzelne kaum thematisiert. Es wird nicht deutlich gemacht, dass die Welt imaginär und konkret (durch hohe Zäune, Frontex, Eurosur etc. ) geteilt ist. Von Afrikas Bodenschätzen und fruchtbaren Böden profitieren die Industrieländer, die meisten AfrikanerInnen bleiben arm. Die neuen afrikanischen Leitlinien zur Afrikapolitik der Bundesregierung vertiefen und zementieren die bestehenden Probleme und Ungleichheiten. Der Abschluss neuer Freihandelsverträge wird katastrophale ökonomische und soziale Auswirkungen für afrikanische Länder haben und den Menschen dort die Lebensgrundlagen entziehen. Die vorgesehene weitere (militärische) Abschottung von afrikanischen MigranInnen wird noch mehr Tote und Verletzte an den EU-Außengrenzen verursachen.

 

Was würden Sie als Gegenmaßnahmen empfehlen? Welche davon kann jede/r in Angriff nehmen und welche müssen Ihrer Meinung nach von höheren Ebenen angegangen werden?

Es müssten mehr Gegenöffentlichkeit hergestellt und Brücken gebaut werden, damit fortschrittlich und demokratisch aktive Menschen gemeinsam gegen Unrecht Handlungsstrategien entwickeln. Die Bewegungen in einer globalisierten Welt sind transanational, und eine gänzlich andere Afrikapolitik muss auf solidarischer Ebene diskutiert werden, wie z. B. eine faire Handelspolitik, die afrikanische Märkte nicht zerstört. Mit AfrikanerInnen gemeinsam müssen entwicklungsförderliche Handelsvereinbarungen entwickelt werden. Afrika darf nicht länger als reiner Rohstofflieferant missbraucht werden. Hier gilt es, solidarisch und gemeinsam entwicklungspolitische Positionen zu beziehen. Insbesondere ist es ein großes Anliegen, MigrantInnen aus afrikanischen Ländern an diesem Prozess zu beteiligen. Ich befürchte, dass höhere Ebenen sich auf einen Politikwechsel nicht einlassen werden.

 

Gibt es für Sie trotz allem dennoch sichtbare Tendenzen in die richtige Richtung, etwa bezogen auf die letzten fünf Jahre?

Es gibt insbesondere in den letzten zwei Jahren selbstorganisierte Flüchtlingsbewegungen, in denen viele Flüchtlinge und Migranten aus afrikanischen Ländern aktiv sind. Sie thematisieren immer wieder ihre Fluchtursachen und die sich verschlechternden Umstände. Insgesamt ist festzuhalten, dass die EU-Migrationspolitik gegenüber Afrika in erster Linie an den Bedürfnissen der europäischen Wirtschaft orientiert ist – kaum jedoch an menschenrechtlichen Maximen. Hier engagieren sich Antirassisten, Menschenrechtler und unterstützen den Protest der MigrantInnen. Dadurch werden auf jeden Fall mehr Schutz vor Abschiebungen in unsichere Heimatländer möglich – leider noch zu wenig! – und die Forderung nach einem Bleiberecht für Verfolgte und Bewegungsfreiheit als Menschenrecht durch Medien wie Facebook, Twitter etc. öffentlich gemacht.

 

Ulla Rothe, 02.08.2014

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