Dass schwarze Menschen alle tanzen können, ist eine weit verbreitete Annahme. Doch dabei denken die wenigsten an Ballett. Der Film „Juli“ basiert auf der Autobiographie „No Way Home“ von Carlos Acosta und erzählt, wie ein kleiner schwarzer Junge zum Weltstar des klassischen Balletts wurde.
„Juli“ erzählt eine spannende Geschichte, die auf mehreren Ebenen berührt. Der Film zeichnet das Leben des Weltklassetänzers Carlos Acosta nach, der als Kind eines Lastwagenfahrers in ärmsten Verhältnissen auf Kuba aufwächst. Als erstes fühlt man sich an „Billy Elliot“ erinnert, ein Film der auf den ersten Blick eine ähnliche Story erzählt. Ein Junge aus armen Verhältnisse steigt zum gefeierten Balletttänzer auf. Doch im Gegensatz zu Billy Elliot, dessen ganze Leidenschaft dem Tanz gilt, will Carlos, genannt Yuli, lieber der nächste Pélé werden. Während der eine Junge verprügelt wird, weil er tanzen will, wird der andere verprügelt, weil er es partout nicht will. Denn der Lastwagenfahrer Pedro erkennt, dass sein Sohn eine ganz besondere Begabung hat und dass der Tanz ein Ausweg aus der kubanischen Misere sein kann. Keinesfalls ist er bereit zuzulassen, dass sein Sohn diese Chance nicht ergreift.
Das wirft eine grundsätzliche Frage auf: Haben Eltern die Pflicht, außerordentliche Talente bei ihren Kindern zu fördern? Auch wenn die Kinder dies nicht wollen? Oder anders gefragt: Darf jeder Mensch frei entscheiden, wie er mit seinem Talent umgeht, auch wenn es bedeutet dieses zu vergeuden? Yuli hat keine Gelegenheit, sich frei zu entscheiden. Sein Vater, der mit strenger Hand über Frau und Kinder herrscht, zwingt seinen neunjährigen Sohn zum Vortanzen an der staatlichen Tanzakademie in Havanna. Dort wird Yulis Talent ebenfalls gleich erkannt und er wird an der exklusiven Einrichtung aufgenommen. Doch das Kind tut alles, um von der Schule zu fliegen um bei seiner Mutter und seinen Schwestern zu sein. Danach steckt sein Vater ihn in ein Tanzinternat, weit weg von zu Hause. Dass der Sohn Heimweh hat, gehänselt wird, einsam ist – all das lässt den Vater scheinbar kalt. Im Internat entwickelt sich Yuli zum besten Tänzer der Schule.
Als er bei einem internationalen Wettbewerb in Lausanne die Goldmedaille gewinnt, bietet das English National Ballet, eines der führenden Balletthäuser der Welt, dem begnadeten Tänzer einen Platz in der Compagnie an. Yuli aber will lieber zurück nach Kuba. Doch Kuba bietet keine Zukunft, keine Perspektiven. Scharenweise verlassen die Menschen das Land, flüchten über das Meer in die USA, wo sie auf ein besseres Leben hoffen. Auf Drängen seiner Lehrerin und seines Vaters nimmt Carlos schweren Herzens das Angebot aus London an. Somit beginnt die einzigartige Karriere des Tänzers Carlos Acosta, der erste schwarze Balletttänzer, der auch Hauptrollen auf Weltbühnen tanzte.
Der Film erzählt nicht nur von dem harten Weg eines Tänzers zum Weltruhm, sondern auch eine komplizierte Vater-Sohn-Geschichte. Gleichzeitig spielen auch Themen wie Sklaverei, Rassismus, Flucht und Migration eine wichtige Rolle. Bilder von Kubanern, die auf selbstgebauten Flößen die Überfahrt nach Miami riskieren, erinnern an unsere Gegenwart. Wie sich Rassismus anfühlt, erfährt Yuli schon als kleiner Junge. Es gibt z.B. eine Szene, in der er und seine Schwestern (die eine ist sehr hellhäutig) ganz aufgeregt auf ihre Tante warten, um einen Ausflug zum Strand zu machen. Als die Tante (auch sie mit sehr heller Hautfarbe) endlich kommt, darf nur Yulis hellhäutige Schwester mit. Und Yuli erkennt, er darf nicht mit, weil die Tante nicht mit einem schwarzen Jungen gesehen werden will. Als Zuschauer*in möchte man bei solchen Szenen losheulen.
So ist dieser Film viel mehr als nur ein Tanzfilm (obwohl auch Ballettfans in den zahlreichen Tanzszenen auf ihre Kosten kommen). Mit einer packenden Erzählstruktur wird eine vielschichtige, emotionale Geschichte erzählt, die ich jedem wärmstens empfehle.
Regie: Icíar Bollaín
Drehbuch: Paul Laverty
Mit: Carlos Acosta, Santiago Alfonso, Edilson Manuel Olbera Nuñes, Kevyn Martínez, Laura de la Zu, Yerlín Perez, u.v.a.
Kinostart: 17. Januar
Mehr über den Tänzer Carlos Acosta hier