#3 Äthiopien: Landgrabbing und seine Auswirkungen

 

(von Eshetu Wondafrash, Birhan e.V.)

Ethiopia

 

Hintergrund

Gesamtfläche: ca. 1,1 Millionen qkm, davon ca. 100.000 qkm Wasserfläche. 74 Millionen Hektar (ha) potentiell agrarisch nutzbares Land, davon sind 15 Millionen ha kultiviert / Bevölkerung: ca. 95.000.000, 65% unter 25 Jahre (Index Mundi, Demographics Profile 2013) Flüsse: der Akobo, Awash, Nil, Juba, Ganale, Omo, Tekeze-Setit und Wabi Shebele. u.a.

Etwa 85 % der Bevölkerung lebt auf dem Land und hat somit in irgendeiner Weise mit Landwirtschaft oder Viehzucht zu tun. Das Land ist fruchtbar und Wasser ist in ausreichender Menge vorhanden. Dennoch sind zwischen 5 und 13 Millionen Menschen stets von Lebensmittelhilfe abhängig. Die Landflucht ist groß. Laut internationalen Organisationen wie FIAN leben ca. 100.000 Obdachlose in der Hauptstadt Addis Abeba. Die Bauern können in der Regel nur ein bis zwei Hektar Land pachten. Etwa 45% der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Allein im Jahr 2012 betrug die Staatsverschuldung 44,4 % des BIP (Lexas Länder-Daten). Die externe Verschuldung lag bei 8 Milliarden Dollar (index mundi). Der Staat unterhält mehrere große Projekte wie Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD). Äthiopien steht an der 111. Stelle nach dem Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) Ranking. Zwischen 2000 und 2009 betrugen die illegalen Finanzströme aus dem Land heraus 11,7 Milliarden Dollar (Quelle: Financial Transparency Coalition, December 5, 2011)

Äthiopien wurde nie kolonisiert. Das Recht der Bauern, das Land als Ackerbau zu nutzen (amharisch: Rist) und das Recht des Adels, auf einen Teil der Erträge (amharisch: Gult), wurde früher in Nord-Äthi­opien praktiziert und ab Ende des 19. Jahrhunderts auch in den südlichen Regionen eingeführt. Also war Rist im äthiopischen Kaiserreich gemeinschaftliches Land, das individuell bestellt wurde. Wald, Weidefläche und andere Flächen waren stets Gemeinschaftsland (LINKSNET, Peripherie 02.12.2011). In den 1940er Jahre wurden Änderungen im Landrecht zwecks ökonomischer Entwicklung und Modernisierung vorgenommen. So wurde das Weideland im Awashtal für das Vorhaben des äthiopischen Staates und der niederländischen Handelsvereinigung Amster­dam für einen großflächigen Zuckerrohranbau verwendet. Hiermit begann die Verdrängung der lokalen Nutzer im großen Stil. Landgrabbing ist somit in für Äthiopien kein neues Phänomen

Im Jahr 1974 wurde per Proklamation das ganze Land verstaatlicht und die Äthiopier verlo­ren ihre Besitzrechte. Seitdem können sie Land nur noch leasen oder pachten

Landgrabbing, die illegitime oder illegale Aneignung von Land, wird von einheimischen und internationalen Akteuren betrieben, die sich wirtschaftlich oder politisch durchsetzen. Das Ausmaß ist erschreckend. Über 3,5 Millionen ha Land wurden in den letzten Jahren transfe­riert. Bis Ende 2015 werden es vermutlich 7 Millionen ha sein. In der Folge werden insge­samt rund 1,5 Millionen Menschen für die Investoren Platz machen müssen. Der Film „Machtfaktor Erde der am 23.10.2013 von Phönix ausgestrahlt wurde, verdeutlicht einen der Gründe für das globale Landgrabbing. Darin wird klar, wie China und Indien zunehmend un­ter Lebensmittel- und vor allem Wasserknappheit leiden. Viele Länder haben ähnliche Prob­leme. Saudi Arabien z.B. hat zwar genug Land, jedoch zu wenig Wasser. In den Jahren 2007 und 2008 sind die Preise für Lebensmittel und Erdöl drastisch gestiegen. Mit dem peak oil (das globale Ölfördermaximum bzw. das zeitliche Maximum der weltweiten Förderrate von Rohöl) und der Finanzkrise im Jahr 2008, sowie dem Klimawandel und dem Weltbevölkerungswachstum, ging das Rennen um die Ressourcensicherung erst richtig los. Es geht um Land und Wasser – Äthiopien hat genug davon. Die Regierung braucht Devisen und die Preise für Land und Arbeitskräfte sind fast nirgendwo billiger. Die Wassernutzung ist für ausländische Investoren sogar kostenlos.

Um einige Länder und Unternehmen zu nennen: Karaturi (Indien), Acasis AG (Deutschland) Sun Biofuels (Großbritannien) Saudi Star sowie VAE, Israel, die Niederlande, Italien, USA, Malaysia, Brasilien, Dänemark, Ägypten und Djibouti sind an dem Landgrabbing beteiligt.

Die äthiopische Regierung, die seit 23 Jahre an der Macht ist, findet die Transferierung des Landes wichtig und begründet sie mit Argumenten wie:

  • es gibt viel ungenutztes Land und viele Arbeitslose
  • große landwirtschaftliche Investitionen steigern die Erträge um bis zu 40%
  • Schaffung von Arbeitsplätzen und Begünstigung des Technologie-Transfers
  • der Staat benötigt Devisen für wichtige Projekte sowie den Import von Lebensmittel
  • die lokale Bevölkerung profitiert vom Aufbau der Infrastruktur wie Straßen, Schulen, Kliniken, Elektrizitätsnetz, etc.

Internationale Menschenrechts- und Hilfsorganisationen werfen der Regierung vor, dass es sich bei den aufgeführten Argumenten um leere Versprechungen handelt. Bezugnehmend auf Regionen wie Gambella behaupten sie:

  • die Bauern und Nomaden wurden gezwungen, ihr Gebiet zu verlassen. Sie sind bei den Entscheidungen nicht einbezogen. Viele von ihnen leben heute als Flüchtlinge
  • die Verträge sind nicht transparent. Investoren zahlen ein paar Dollar pro ha und pro Jahr, sonst haben sie kaum Verpflichtungen
  • nur einige Tausend rechtlich ungesicherte Arbeitsplätze wurden geschaffen. Da die Arbeiter 60 bis 70 Cent pro Tag verdienen, sind sie nun auf Lebensmittelspenden angewiesen
  • Umweltzerstörung durch Waldrodung, Einsatz von Pestiziden und Insektiziden, etc.
  • die Investoren exportieren die Erträge direkt in ihre Heimatländer: Die Einheimischen, denen aufgrund der geringen Bezahlung sowieso die Kaufkraft fehlt, gehen leer aus.

Die Berichte und Dokumentationen von Medien wie BBC und von internationalen Organisati­onen, verdeutlichen die Unzufriedenheit der lokalen Bevölkerung und bekräftigen, dass die Menschen ihre Lebensgrundlagen ein für alle Mal verlieren werden. Sie werden ihre Kulturen nicht pflegen können und müssen zusehen, wie das Land ihrer Vorfahren von Fremden be­wirtschaftet wird. Viele Äthiopier, vor allem die Intellektuellen, sehen dies als Neokolonialis­mus. Für sie ist die Souveränität des Landes in Gefahr, da die Verträge international ver­bindlich sind.

Die Probleme könnten bewältigt werden, wenn die Einheimischen, wie zum Beispiel die Bauern in Malawi, mit Förderung von der Regierung mit Rat und Tat unterstützt werden. Dann bräuchte Äthiopien keine ausländischen Investoren. Sonst ist es zu befürchten, dass eine langjährige Auseinandersetzung zur Destabilisierung des Landes führt.

Die Liste der der ausländischen Akteure ist sehr lang. Angaben dazu und weitere Informatio­nen sind zu finden unter:

http://www.oaklandinstitute.org/

www.landmatrix.org/get-the-detail/…/ethiopia/

land-grabbing.de/…/fallbeispiel-deutsche-acazis-ag-in-aethiopien/

 

Organisationen: INKOTA Netzwerk e.V, AlterNet, OXFAM, FIAN Österreich.

Bücher: Bodenrausch, die globale Jagd nach den Äckern der Welt, ISBN 978-3-84790005-4 / Der große Bodenrausch, Bauern des Südens wehren sich gegen Agrarinvestoren, ISBN 978-386099-890-8

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