Würden Sie Migranten bei sich einquartieren?

Diese Frage stellt Alexandra Leclère in ihrem neuen Film: Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste ab 9. Februar im Kino

Dass Paris ein teures Pflaster mit astronomischen Mietpreisen ist, ist bekannt. Wie in vielen Metropolen bleibt das schicke Wohnen den besser Betuchten vorenthalten. Wer arm ist, muss in die Banlieus ziehen oder auf der Straße hausen. Als in Paris der kälteste Winter seit Menschengedenken einbricht und immer mehr Menschen mangels angemessenem Wohnraum zu erfrieren drohen, greift die Regierung zu einer radikalen Maßnahme: Um dringend Wohnraum für Obdachlose und finanziell schwache Bürger zur Verfügung zu stellen, wird leer stehender Wohnraum Wohnungssuchenden zuggewiesen. Aber schlimmer noch: Wer über übermäßig viele Wohnquadratmeter verfügt, muss diese nun per Verordnung teilen.

Ein Recht auf Wohnraum? © Square One/Universum

Das trifft die gut betuchten Pariser hart. Plötzlich sehen sie sich gezwungen, ihre gutbürgerlichen Idyllen und ihre Luxuswohnungen im 16. Arrondissement zu verteidigen. Mit Bestechungen, Beziehungen und Betrügereien schaffen es die konservativen Dubreuils (Christine und Pierre) und links-intellektuellen Bretzels (Béatrice und Grégoire) zunächst, sich ihre minder bemittelten Mitbürger vom Hals zu halten. Doch am Ende müssen auch sie Obdachlose und Migranten beherbergen. Und plötzlich brechen bei der „besseren“ Gesellschaft sämtliche Ressentiments, Vorurteile und niederen Instinkte aus, was der Film am Beispiel eines exklusiven Altbaus und seine Bewohner exemplarisch zeigt.

Die Pegida-Parolen verwundern bei der Le-Pen wählenden Concièrge nicht. Das einst selbst eingewanderte Ehepaar Abramovitch zieht es vor, in ein Miniapartment umzuziehen, um ja keine Migranten aufnehmen zu müssen. Und auch der recht konservative Monsieur Dubreuil hält ganz offen nichts von Ausländern oder Arbeitslosen (obwohl er sie auf seiner Baustelle gerne beschäftigt). Doch selbst die linke Dozentin und Aktivistin Béatrice Bretzel sieht sich mit ihren Ressentiments konfrontiert. Schließlich ist es eine Sache, vor Studenten über Teilhabechancen zu dozieren und eine ganz andere Sache, eine Afrikanerin mit Kleinkind in der eigenen Wohnung zu beherbergen. Vor sich selbst rechtfertigt Béatrice ihre Einstellung damit, dass man „solchen Menschen“ gar keinen Gefallen damit tut, wenn man sie in einem Viertel mit teuren Boutiquen und Restaurants einquartiert, wo sie sich nur unwohl fühlen. Harvestehude lässt grüßen.

Béatrice mag ihr Sofa nicht teilen ©Square One/Universum

Das vornehme Haus und seine Bewohner dient als Parabel für unsere materialistische Gesellschaft, in der es in erster Linie um den eigenen Wohlstand geht. Dabei ist es egal, ob man politisch links oder rechts orientiert ist. In diesem Film kommt die grüne, linke Intellektuelle sogar fast schlechter weg als die bornierte konservative reiche Gattin. Selbst die, die das Elend im Prinzip schlimm finden, sehen die Sache ganz anders, wenn sie direkt und unmittelbar damit konfrontiert werden. Der Film hält uns allen somit den Spiegel vor, und was wir da sehen ist nicht schön. Denn auch wenn uns bei den rassistischen Äußerungen der Figuren oftmals der Atem wegbleibt, teilen wir, wenn wir ganz ehrlich ist, die eine oder andere Einstellung.

Alexandra Leclère ist eine bitterböse Gesellschaftssatire gelungen, die gerade in der aktuellen Debatte über Flucht und Migration sehr zeitgemäß wirkt. Dabei hat die Regisseurin kein einziges Vorurteil ausgelassen und lässt weder „Ausländer“ und „Migranten“, die alle extrem klischeehaft dargestellt werden, noch die „Weißen“ gut dastehen. Wie solidarisch sind wir, wenn es tatsächlich darauf ankommt? Mit dieser Frage verlassen wir das Kino. (ado)

© Square One/Universum

Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste

Mit: Karin Viard, Didier Bourdon, Valérie Bonneton, Michel Vuillermoz, Josiane Balasko u.v.a.

Regie: Alexandra Leclère

Laufzeit: 102 Minuten

Seit dem 9. Februar im Kino

 

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