Themenmonat: "Neue Medien erlauben einen radikal horizontalen Einblick in die Geschichte" – Interview mit Claudia Wegener

Claudia Wegener- photo-Carl Odera

Foto: Carl Odera

Ich bin eine deutsche Ton- und Radiokünstlerin – und gebürtige Hammenserin – mit „Migrationshintergrund“ (!), habe von 1989 – 2011 hauptsächlich in London gelebt, und arbeite seit 2005 als “radio continental drift” sehr viel an partizipatorischen Ton- und Radioprojekten in Afrika, z.Z. an einem Projekt mit Frauen in Zimbabwe. Ich komme eigentlich von der Bildenden Kunst, habe mich aber seit 2001 mehr und mehr auf digitale Medien, Ton- und Radiokunst spezialisiert. Ich archiviere meine Aufnahmen im Internet zum freien Download in Öffentlichen Archiven. Mit dem Konzept des “slow broadcast” und interaktiven Radioprojekten bewegt sich meine Arbeit zwischen Europa und Afrika, zwischen superlokal vor Ort und im sogenannten Globalen Dorf des “Cyberspace”.

 

Sehr geehrte Frau Claudia Wegener, dass es trotz vieler Anstrengungen nach wie vor ein weit verbreitetes und stark vereinfachtes Bild von Afrika bzw. Menschen afrikanischer Herkunft gibt, ist leider Fakt. Welche dieser Bilder – sei es in den Medien, sei es im ganz alltäglichen Leben – begegnen Ihnen häufig? Oder: Welche davon nehmen Sie besonders wahr?

Wie schon erwähnt, ist meine Arbeit hier auf deutschem Boden noch sehr jung. Den Schwerpunkt meiner Arbeit als radio continental drift lege ich ganz bewusst auf meine Zusammenarbeit mit AfrikanerInnen, hier und in Afrika. In Hamm z.B. engagiere ich mich als Vorstandsmitglied im Yes-Afrika Verein. Die Bilder von Afrika, die mich daher besonders bewegen, sind die, in den Köpfen der AfrikanerInnen.

Afrikanerinnen hier in Deutschland haben mir z.B. im Gespräch gesagt, dass ihre Bemühungen, afrikanische Frauen um ein gemeinsames Projekt zu sammeln oder sie vielleicht sogar um Interviews zu bitten, sicherlich erfolglos bleiben würden. Wahrscheinlich würden sie ausgelacht werden und viel Gerede heraufbeschwören; aber wenn ich die Initiative ergriffe, und dann vielleicht noch gesehen würde, dass Afrikanerinnen hinter mir stehen, dann wäre das etwas ganz anderes…

Anders als in Afrika, habe ich hier in Europa das Gesicht des weißen Insiders; dass ich Hammenserin „mit Migrationshintergrund“ bin, sieht man nicht. Man kann es vielleicht hören… aber da fragen mich dann eher meine weißen Mitbürger, wo ich denn herkäme…

 

Worin sehen Sie persönlich die Ursachen, dass sich diese historisch gewachsenen Bilder so hartnäckig halten?

Die Ursachen für die Beständigkeit der Bilder, die ich hier hervorheben möchte, da sie mich am meisten beschäftigen, und ich auch hier mit meiner Arbeit ansetze, sind Bildung und Erziehung, und die Bedeutung der Massenmedien in der Verbreitung und Festschreibung dieser Bilder. Bildung und Erziehung sind immer noch und nachhaltig kolonialistisch geprägt, hier und in Afrika. Als ich zum Beispiel 2010 mit jungen Menschen in Kenia gearbeitet habe, und mich auch oft in öffentlichen Verkehrsmitteln mit meinen Mitreisenden unterhielt, war ich erschrocken, wie entfremdet eine junge gebildete, urbane Mittelschicht ihrer afrikanischen Herkunft, Geschichte und Kultur gegenübersteht.

Ich möchte hier aber auch gleich hinzufügen, dass ich in Nairobi mit hellwachen jungen Künstlern und Hip-Hop-Dichtern zusammengearbeitet habe, die sich dieser brisanten Situation in ihrer Gesellschaft zutiefst bewusst sind und schon lange mit Intelligenz und Kreativität daran arbeiten. Jimmy Ogonga z. B. fasst die Situation explizit als gesellschaftliches Trauma in Folge der rassistischen Kolonisation und weißer Missionierung mit dem Effekt einer institutionalisierten Amnesia (d.h. aktives „Vergessen“, Wiederholen und Widerspiegeln) der Kolonisationsgeschichte in den neuen afrikanischen Nationen und Gesellschaften nach der Unabhängigkeit.

Um es einmal ganz krass zu pauschalisieren, die „allgemeine Schulausbildung“ hinterlässt ihre Schüler ebenso „white-washed“ in Afrika wie in Europa.

 

Was würden Sie als Gegenmaßnahmen empfehlen? Welche davon kann jede/r in Angriff nehmen und welche müssen Ihrer Meinung nach von höheren Ebenen angegangen werden?

Ich zähle mal einfach ein paar Punkte auf, wo ich denke, dass es jeder einzelne tun könnte, egal welche Farbe die Haut hat. Wir leiden alle unter den Folgen eines rassistischen Kolonialismus und können uns nun getrost gemeinsam auf den Weg machen, unsere lokalen Gemeinden und Gesellschaften und unsere kleiner werdende, bunte Welt zu „entwickeln“:

–       sich Zeit nehmen für seine Kinder im Spielen und in Unterhaltungen; zuhören, was sie in der Schule gelernt haben; zusammen Fragen stellen und nach Antworten suchen… oder die Fragen spielerisch, kreativ darstellen…

–       die Hälfte der Zeit, die wir mit dem Konsumieren von Massenmedien verbringen, auf andere Medien-Plattformen umlenken; nach neuen und verschiedenen Perspektiven suchen; bewusst lesen und zuhören: Wer spricht hier? …mit welchem Anspruch? … wer, oder was kommt hier nicht zu Wort?

–       persönliche Gespräche suchen und pflegen mit Menschen, denen man vielleicht „normaler Weise“ weniger begegnet. Zuhören! Zuhören! Zuhören! und den Hunger immer, mit jedem Gespräch dazuzulernen, wach halten… – und an seine Kinder weitergeben…

–       sich in lokalen Gruppen, Vereinen, Initiativen usw. gemeinsam engagieren; auf gute Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit wert legen…

 

…und dort ist irgendwo der mehr oder weniger fließende Übergang zu „höheren Ebenen“, an denen wir dennoch als aktive Zivilgesellschaft nie aufgeben sollten zu arbeiten. Zum Beispiel, und ich konzentriere mich jetzt wieder auf den Bereich „Medien“: Unsere Öffentlichkeitsarbeit geht nicht nur durch die Medien, als pures Mittel, zur Öffentlichkeit unserer Mitbürger; die Medien und ihre professionellen Vertreter bedürfen selbst auch der Aufmerksamkeit unsere Öffentlichkeitsarbeit. Hier müssen wir uns fragen, wie es kommt, das z.B. die Aktivitäten eines afrikanischen Vereins „grundsätzlich“ (?!) unter „Lokales“ erscheinen…? und kaum je unter „Kultur“…? Natürlich müssen wir uns dann auch immer selbst wachsam prüfen, unter welche Überschriften wir unsere Aktivitäten setzten, und wo wir vielleicht einer Zementierung von Bildern und Des-Integration Vorschub leisten…?

 

Gibt es für Sie trotz allem dennoch sichtbare Tendenzen in die richtige Richtung, etwa bezogen auf die letzten fünf Jahre?

Ich glaube, dass mir als relativier Neuankömmling hier einfach noch die längere, „grassroots“ Erfahrung für eine detaillierte Antwort feht…

 

In welcher Form engagiert sich radio continental drift bzw. Yes Afrika, um diesem verbreiteten Afrikabild bzw. dem Bild von Menschen afrikanischer Herkunft entgegenzuwirken? Können Sie konkrete Beispiele nennen bzw. welche würden Sie zurzeit besonders hervorheben wollen?

Umgekehrt zu dem oben zitierten Beispiel, sehe ich „die Medien“ selbst auch immer als Teil der Kultur an. Kultur lebt im ständigen Ringen zwischen Tradition und Erneuerung auf allen Ebenen menschlicher Ausdrucksformen. Systeme von Unterdrückung und Diskriminierung arbeiten immer auch an und durch die Kultur und besetzen die vorhandenen Ausdrucksformen, also „die Kultur“, auf subtile Weise mit ihren Dogmen und Propaganda. Die Kultur und menschliche Kreativität ist daher der Punkt, an dem ich mit meiner Arbeit als radio continental drift ansetze, und wo auch viele der Aktivitäten von und mit Yes-Afrika e.V. anzusiedeln sind.

Auf den Seiten von radio continental drift im Internetarchiv gibt es hunderte von Originaltonaufnahmen, in denen AfrikanerInnen vor allem aus dem Südlichen Afrika und der Europäischen Diaspora selbst zu Wort kommen, von ihrem täglichen Leben, ihren Erfahrungen, ihrer Gesellschaft und ihren Aktivitäten erzählen. Die Neuen Medien erlauben uns hier einen alternativen Zugriff und radikal horizontalen Einblick in die Geschichte. Lumumba’s Vision, dass die Menschen Afrikas ihre eigene Geschichte „schreiben“ (!) werden, ist nun zum Greifen nahe…

Tatsache unserer sogenannten “Globalen Informationsgesellschaft” aber ist es, dass die Medien, die uns das Internet global für Erziehen, Bildung, Information, Kommunikation und Freizeitbeschäftigung zur Verfügung stellt, mit 90 prozentigem Übergewicht nicht in Afrika und nicht von AfrikanerInnen produziert werden. Mit den Workshops und kreativen Medienprojekten von radio continental drift reihe ich mich unter die Vielzahl derer ein, die mit den Menschen vor Ort daran arbeiten, unseren Kindern und Kindeskindern den Zugang zu einem vielseitigeren und gerechteren „Informationszeitalter“ zu ermöglichen.

Wer in die Tonaufnahmen und die kreative Vernetzungsarbeit von radio continental drift Einblick nehmen möchte, den möchte ich auf der „All Africa Sound Map“ auf die Reise schicken… hier kann man z.B, dem oben schon erwähnten Künstler und Kulturaktivisten, Jimmy Oganga in Nairobi zuhören, dem Musiker und Mitbegründer von Yes-Afrika e.V., Yemi Ojo in Hamm, der Schauspielerin und Mitbegründerin des Ishyo Art Centre in Kigale, Carole Karemera, der Aktivistin für die Rechte von „behinderten“ Menschen, Soneni Gwizi in Bulawayo, oder der Künstlerin Mulenga Mulenga in Lusaka Sambia, die von den Initiationsriten der Bemba erzählt; und vielen anderen…

Die „All Africa Sound Map“ auf den Seiten von Radio Aporee richtet sich mit dieser Einladung an alle Zuhörer:

“Contribute your local recordings and place African arts and culture on the global map!” http://aporee.org/maps/projects/all-africa-sound-map

 

Claudia Wegener/ radio continental drift

e-mail: long_walk_abridged@yahoo.co.uk

http://www.radiocontinentaldrift.wordpress.com

Im Netz

Partner

Träger der Fachstelle Empowerment und Interkulturelle Öffnung

Die Fachstelle ist Teil des Eine-Welt-Promotorinnen-Programms

In Zusammenarbeit mit dem

Gefördert von

im Auftrag des

und der Landesregierung NRW