Du gehörst dazu! Ein offener Brief von Viel&Mehr

Liebe Verleger_innen von Kinder- und Bilderbüchern,

pünktlich zur anstehenden Leipziger Buchmesse sind wieder einmal fast alle Neuerscheinungen dieses Frühjahrs veröffentlicht. Gespannt und neugierig verfolgen wir dieses Szenario jedes Jahr auf ein Neues. Immerhin erscheinen jährlich etwa 6.000 neue Bücher für Kinder und es existiert eine entsprechend beachtliche Bandbreite. Wunderbar! Dennoch sind wir wieder enttäuscht, denn in unseren Augen fehlt etwas.

Deutschsprachige Kinder- und Bilderbücher erzählen mehrheitlich märchenhaft und phantasievoll Erdachtes mit knuffigen Tierfiguren. Schon seltener finden sich alltagsnahe Familien- oder Kitageschichten. Werden diese (Bilder)Welten dann realistisch, zeigen sie überproportional oft hellhäutige Menschen in warmherzigen Mutter-Vater-Kind-Familiensituationen. Dass alle gesund und propper sind, steht außer Frage. Klassische Geschlechterbilder bis hin zum Klischee werden gepflegt: Connie, Lilliyfee und Prinzessin Laura in Rosa. Leo, Ritter Max und Pirat Leon tragen selbstredend Blau.

Entspricht das Gezeigte und Erzählte jedoch der Realität, einem Leben und Aufwachsen im Hier und Jetzt? Nein. Und es genügt ein kurzer Weg mit offenen Augen und Ohren durch eine Großstadt, um eine ganz andere Vielfalt zu erleben – in jedweder Hinsicht: an Sprachen, an Haar- und Hautfarben, an Lebensentwürfen, an Kulturen und Religionen und allem, was diese an Kleidungsstilen und Lebensarten nach sich ziehen.

Doch eben diese Vielfalt spiegelt sich in Kinder- und Bilderbüchern nicht wider. Die realen Lebenswelten von vielen Kindern und das, was ihnen in Büchern begegnet, haben oft nur wenig miteinander zu tun. Wer nicht so aussieht, wer nicht so lebt, wer nicht so spricht wie die gesunde, mittelständische, heteronormative und weiß-deutsche Mehrheit, wird in Bilderbüchern nicht gezeigt. Das ist nicht nur schade, das schädigt. Und zwar auf lange Sicht.

Bilder prägen sich ein, aus Bildern formt sich eine Welt, die für normal erachtet wird – und zwar für die, die drin sind wie auch für die Unsichtbaren, die Ausgeschlossenen. Sie können den Selbstwert eines Kindes stärken oder schwächen. Selbiges gilt für Vorurteile und Klischees. Was für ein Bild der Welt entsteht also für ein Kind, wenn in Büchern viele Identitätsmerkmale, Lebensrealitäten, Kulturen, Sprachen so gut wie nicht vorkommen?

Es geht in diesem offenen Brief nicht um Quoten, sondern darum ein gesellschaftliches Selbstverständnis zu hinterfragen, wer in Bilderbüchern wie und warum gezeigt wird und wer eben nicht. Es geht darum, ein Bewusstsein zu schaffen für eine Ausgrenzung, die kaum wahrgenommen zu werden scheint – außer von denen, die keinen Platz finden.

Wir wünschen uns Bilderbücher, in denen hautfarben als ein Spektrum verstanden wird und in denen Minderheiten zur Mitte gehören. Wir wünschen uns Kinderbücher, in denen Katarzyna, Hamdi, Laura und Oleg zusammen ein Floß bauen und auf große Tour gehen, Lin und Ayshe mit Leon im Rollstuhl um die Ecken sausen, Esme, Mira und Tobias Verstecke spielen, Susan von ihren beiden Müttern aus der Kita abgeholt wird undundund.

Wir wünschen uns Kinder- und Bilderbücher, in denen Vielfalt beiläufig und selbstverständlich die Folie bildet, auf der facettenreich erzählt wird und in denen heterogene Lebenssituationen Anerkennung und Wertschätzung erfahren, ohne vermittelt im Fokus zu stehen.

Sie, die Kinderbuchverleger_innen, entscheiden, wie Kinder und ihre Familien gezeichnet werden und ob eine Vielfalt an Lebensrealitäten respektvoll und gleichberechtigt oder als Abweichung von der Norm thematisiert wird. Sie haben in der Hand zu vermitteln, wer dazu gehört und mitspielen darf. Und ja, darin liegt auch eine gesellschaftliche Verantwortung.

Wir freuen uns aus auf einen vielfältigen Bilderbücherherbst! Für Ideen, Anregungen, Geschichten und Bilder können Sie uns jederzeit sehr gern kontaktieren!

Die unterstützenden Vereine (darunter auch der Verband binationaler Familien und Partnerschaften e.V.) und mehr Informationen über Viel & Mehr finden sich auf der Intnernetseite: www.vielundmehr.de

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