#6 Flüchtlinge und Alltagsrassismus / Die Rolle der Politik und der Medien

Ein Artikel von Veye Tatah, ehrenamtliche Chefredakteurin des  Magazins AFRICA POSITIVE, das seit 1998 im deutschsprachigen Raum erscheint. 2014 hat sie den Tagungsband “Afrika 3.0″ herausgegeben.

Die politischen, sozialen und religiösen Kriege, die uns letztes Jahr begleiteten, trieben Millionen Menschen auf die Flucht. Ungeachtet, aus welchem Grund jemand seine Heimat verlässt, keiner tut es aus Spaß, sondern aus Verzweiflung.

Wir leben in einer Welt, in der besonders Menschen aus den reichen Ländern das Recht haben, überall auf der Welt frei ein- und auszureisen oder auch sich vor Ort niederzulassen. Viele Portugiesen verlassen ihr Land auf der Suche nach Arbeit in Angola oder Mozambique. Keiner verweigert ihnen das Visum und niemand nennt sie Wirtschaftsflüchtlinge. Wenn Deutsche in die Schweiz, USA oder nach Australien auswandern, möchten sie eine Verbesserung ihrer Lebensperspektive. Die Reisefreiheit für die Suche nach Frieden, Sicherheit, Wohlstand und Glück darf kein Privileg für einige wenige sein.

Die Politik muss die komplizierten Gesetze für die legale Einwanderung nach Europa überarbeiten. Dies wird zur Eindämmung der Schlepper-Aktivitäten führen und gleichzeitig das Sterben im Mittelmeer verringern.
Umgang mit Flüchtlingen/Migranten

Die Stigmatisierung von Flüchtlingen als Menschen zweiter Klasse ohne Rechte und Würde offenbart die Zustände in unserer Gesellschaft. Alle reden über die Integration von Migranten und Flüchtlingen. Brauchen wir nicht Inklusion? In der Realität wollen viele Bürger Migranten und Flüchtlinge nicht als Nachbarn haben.

Die Gesetze sind so verquer, dass sogar die Menschen, die arbeiten wollen und können, es trotz Arbeitskräftemangels nicht tun dürfen. Viele Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten oder die Schule besuchen oder einer Ausbildung nachgehen. Weil viele Deutsche das Ausländergesetz nicht kennen, gehen Sie davon aus, dass die Flüchtlinge faul sind und den Sozialstaat ausnutzen.
„Wir wollen, dass Ihr Euch integriert, aber bitte bleibt unter Euch“. Es gibt mittlerweile viele Wohngebiete, in denen nur noch wenige Deutsche leben und oder sich trauen, sich dort aufzuhalten. Wie sollen die Menschen Deutsch lernen, wenn sie kaum in Kontakt mit Deutschen kommen? Daher ist Inklusion wichtig.

Der Kontakt zu Migranten vieler Deutscher ist beschränkt auf die Meldungen, die sie regelmäßig in der Presse lesen. Ängste, Ablehnung und Hass gegenüber den Fremden wachsen, weil wir uns nicht die Zeit nehmen, einander besser kennenzulernen. Der zunehmende Rassismus ist ein Produkt jahrzehntelanger Parolen einiger Politiker gegen Zuwanderung sowie die überwiegend negative Berichterstattung in den Medien. Dieselben Parolen werden heute bei den Pegida-Protesten verwendet. Wundert uns das noch?

Der strukturierte latente Rassismus
Viele zeigen mit den Fingern auf Pegida, aber die schlimmsten Probleme der Migranten hier entstehen durch den alltäglichen Rassismus. Die verdeckte Diskriminierung durch Behörden und Institutionen frustriert viele Migranten, auf dem Arbeitsmarkt, in den Jobcentern, wo vielen Migranten die Finanzierung der Ausbildung ihrer Wahl verweigert wird und sie häufig in die Pflege gesteckt werden. Solange wir den Zugang zu Ressourcen für viele Migranten bewusst oder unbewusst verweigern, solange nur wenige Migranten als Entscheidungsträger agieren können, solange werden wir viel über die misslungene Integration debattieren. Bundeskanzlerin Merkel hat sich in ihrer Neujahrsansprache gegen Fremdenhass positioniert – endlich. Eine gute Sache, schöne Worte, aber viele Migranten brauchen entschiedene Taten, um Ihre Lebensperspektiven zu verbessern.

Wer darf sich Deutsch nennen oder sich fühlen?
Es gibt mittlerweile Generationen von Menschen, die hier leben und keine andere Heimat kennen als Deutschland. Dieses Wissen scheint bei vielen Deutschen noch nicht angekommen zu sein. Sonst würden „nicht typisch deutsch“ aussehende Menschen, die hier geboren sind, nicht ständig gefragt werden, woher sie kommen, und regelmäßig Komplimente erhalten, wie gut sie Deutsch sprechen. Diese Fragen führen jedem Migranten permanent vor Augen, dass man nicht „dazu gehört“, egal, wie viel Mühe man sich gibt.

Viele Migranten, die mit Bussen und Bahnen unterwegs sind, werden oft durch „Racial Profiling“ von der Polizei kontrolliert. Obwohl viele hier geboren sind, wird durch dieses Verhalten das Gefühl vermittelt: Ihr gehört nicht dazu.
Wenn dem Staat der Kampf gegen illegale Einwanderung wichtiger ist als den Migranten ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Gesellschaft zu geben, dann sind die Prioritäten meiner Meinung nach nicht sinnvoll gewichtet. Wenn Menschen jeden Tag mit Ablehnung konfrontiert werden, reagieren sie auf zweierlei Weise: Der Eine zieht sich zurück in seine Ecke und schottet sich ab. Der Andere versucht weiter zu kämpfen in der Hoffnung, dass es eines Tages besser wird. Das ständige Gefühl, abgelehnt zu werden, treibt einige in die Hände radikaler Gruppen, wo ihnen ein Zugehörigkeitsgefühl vermittelt wird.

Unser Handeln hat Konsequenzen
Wer Waffen verkauft, unterstützt damit Kriege, die Not und Elend und damit Flucht verursachen. Die Waffengeschäfte bescheren den Steuerkassen der Industrieländer viel Geld und schaffen Arbeitsplätze, auch in Deutschland. Dafür sind die Bürger dankbar, nicht aber für die wachsende Zahl von Flüchtlingen, die als Folge davon flüchten und um ihr Leben bangen.

Quelle: AFRICA POSITIVE Magazin Nr. 56 (1/2015)

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